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Dank für die Wiederwahl: Sergio Mattarella am Samstagabend, hinter ihm Senatspräsidentin Maria Elisabetta Alberti Casellati und der Präsident des Abgeordnetenhauses, Roberto Fico.

© dpa

Sergio Mattarella bleibt doch Präsident: Absurdes Wahlspektakel zeugt von Italiens politischer Krise

Italien hat einen neuen Staatspräsidenten - den alten. Sein starkes Wahlergebnis ist allerdings eher ein Krisensymptom. Eine Analyse.

Als Sergio Mattarella am Samstagabend die Nachricht seiner Wiederwahl offiziell von den Präsident:innen der beiden Parlamentskammern, Roberto Fico und Maria Elisabetta Alberti Casellati, entgegennimmt, wirkt er nur ein ganz klein wenig nüchterner als sonst, als er denen knapp dankt, die ihn gewählt haben: “Die schwierigen Tage, die wir während dieser Wahl erlebt haben, und die wirtschaftliche, soziale und Gesundheitskrise, in der wir durch die Pandemie weiter stecken, erfordern Verantwortung und Respekt für die Entscheidung des Parlaments und verpflichten dazu, sich ihr nicht zu entziehen. Natürlich hat dies Vorrang vor anderen Überlegungen und privaten Wünschen.”

Es wäre für Koketterie zu halten, wenn es nicht die Worte des 80-jährigen Sergio Mattarella wären. Der alte Staatspräsident, der jetzt auch der neue ist, hatte mehrfach glaubwürdig versichert, er wolle sich ins Privatleben zurückziehen. Eine Wohnung in Rom war angemietet, in der Wahlwoche fuhr ein Umzugswagen dafür Mobiliar aus Sizilien in die Hauptstadt – Mattarella stammt von dort.

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Jetzt  bekommt der stille frühere Christdemokrat, dessen auffällige Unauffälligkeit sieben Jahre lang Italiens TV-Satiren immer wieder Stoff lieferte, nicht nur als zweiter überhaupt in der Geschichte der Republik eine zweite Amtszeit beschert.

Er erhielt auch deutlich mehr Stimmen, als nötig gewesen wären: 759 der 1009 Wahlberechtigten votierten für ihn. Gereicht hätte die absolute Mehrheit, also 505 Stimmen, die die italienische Verfassung nach dem dritten Wahlgang vorschreibt. Mattarella wurde im achten Wahlgang gewählt.

Italiens Medien erinnerten an das Rekordergebnis von Sandro Pertini vor 44 Jahren. Die Mehrheit für den Antifaschisten, Ex-Partisanen und Sozialisten Pertini, dem womöglich bürgernahesten und bis heute legendären Präsidenten, war nur wenig größer. Zu seiner Wahl brauchte es freilich doppelt so viele Wahlgänge. 

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Das der alte und künftige Staatspräsident dieses mehrfach ungewöhnliche Ergebnis so knapp und wenig enthusiastisch kommentierte, hat nicht nur mit seinem Temperament zu tun.

Mattarellas Wiederwahl spiegelt auch die anhaltende Krise von Italiens politischem System, die sich in diesen sechs Tagen Wahl und der Suche nach mehrheitsfähigen Kandidat:innen aus Sicht des Mailänder "Corriere della sera" in einer ganzen Serie von Fehlleistungen der Parteiführungen zeigte: “Lotteriespiel, Dilettantismus, Machtproben, Verabredungen, die sofort gebrochen wurden, Ausbrüche, Hilflosigkeit, Kannibalismus, Taktiererei, Politik über Twitter, Fehltritte, nächtliche Spontaneinfälle und ein Scheiterhaufen von Kandidaturen, von denen etliche wenig nachhaltig waren”.

Einige Beispiele: Nachdem das rechte Lager erst dem schwerkranken Silvio Berlusconi (85) die Treue geschworen hatte, präsentierte es, als der mühsam zum Rückzug überredet war, dessen Parteifreundin, Senatspräsidentin Casellati – wohl wissend, dass sie den Fünf Sternen, der größten Fraktion, nicht zu vermitteln wäre.

Weiter links einigte man sich nicht einmal auf ein gemeinsames Kandidatentableau, es gab Lager für und gegen Draghi, den aktuellen Premier, als neuen Präsidenten. Schließlich favorisierten Ex-Premier Giuseppe Conte (Fünf Sterne) und sein lange härtester Gegner, der Rechtsaußen Matteo Salvini, die parteilose Karrierediplomatin Elisabetta Belloni.

Doch ausgerechnet die sozialdemokratischen Freund:innen vom PD folgten Conte nicht. Ein westliches Land könne nicht die aktuelle Aufseherin der Geheimdienste zum Staatsoberhaupt machen, hieß es.

Ist Mattarella ab sofort Platzhalter?

Sechs Tage lang schien es, als wolle sich die unmögliche Koalition von Premier Mario Draghi, die praktisch das gesamte politische Spektrum von links bis weit rechts vereint, einmal richtig austoben. Schließlich ist sie sonst zu Disziplin gezwungen. Sowohl die Pandemie macht das nötig wie auch die Angst aller vor einer vorzeitigen Neuwahl, sollte Draghi vor Ende der Legislatur die Lust und Kraft fürs Amt verlieren.

Für die Zeit danach lässt das Spektakel dieser Woche wenig Gutes erwarten. Die in letzter Minute wiedergewonnene “Weisheit des Parlaments”, von der PD-Parteichef Enrico Letta nach der Wahl sprach, dürfte fürs erste jedenfalls die EU beruhigen, das die größte Einzeltranche der EU-Covid-Wiederaufbaumilliarden nach Rom schob.

Draghi im Premiersamt gilt in Brüssel als Garant für deren korrekte Verwendung. Seinen Umzug auf den Quirinalshügel Anfang Februar – den er selbst gern wollte – hätten auch die meisten europäischen Regierungen als riskant angesehen.

Nun könnte Mattarella dort für ihn bis zur Neuwahl 2023 die Stellung halten. Schon Giorgio Napolitano, der einzige Präsident mit zwei Amtszeiten, räumte 2015 nach drei Jahren vorzeitig den Palast. Italiens Staatspräsidenten, die der Verfassung nach eigentlich nur Repräsentanten der Nation, werden immer wieder politische Schlüsselfiguren, wenn eine der zahlreichen Regierungskrisen ihre Moderation und Autorität fordert. Als nächster Mann im Quirinal könnte Draghi praktisch weiterregieren.

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