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Deutschland wird immer vielfältiger, vor allem in der jungen Generation. Viele fragen sich: Wann spielt der "Migrationshintergrund" keine Rolle mehr?

© Christian Charisius/dpa

Statistisches Bundesamt führt neue Kategorie ein: Abschied vom Migrationshintergrund?

Seit 2005 trägt die Statistik der Tatsache Rechnung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Doch die Kriterien dafür akzeptieren nicht mehr alle.

Das Statistische Bundesamt führt ergänzend zur Zählung der Menschen mit Migrationshintergrund demnächst eine neue Kategorie "Eingewanderte und ihre Nachkommen" ein. Die neue Statistik soll es nach jetziger Planung ab Anfang nächsten Jahres geben, wie die Behörde in Wiesbaden dem Tagesspiegel bestätigte. Vor Tagen hatte zuerst der "Mediendienst Integration" darüber berichtet.

Den Migrationshintergrund gibt es seit 2005 in der deutschen Statistik. Er erfasst seitdem alle Einwohner:innen in Deutschland, die nicht von Geburt an Deutsche waren oder sind, oder mindestens ein Elternteil haben, das nicht von Anfang an die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Menschen mit Migrationshintergrund für die Statistik sind demnach Ausländer:innen, Eingebürgerte, aber auch Spätaussiedler:innen und adoptierte Kinder, die durch ihre Adoptiveltern Deutsche geworden sind. Auch deren Kinder gelten der Statistik noch als "Menschen mit Migrationshintergrund".

Früher gab es nur hier Deutsche, dort Ausländer:innen

Genau deshalb ist die Kategorie in den letzten Jahren unter Druck geraten. Wie lange man denn noch als nicht ganz und gar deutsch gelten solle, fragten viele, die darin auftauchen und sich mit einem Negativetikett versehen fühlen. Wer daran festhält, wie vor einem Jahr ausdrücklich der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Migrationsfragen SVR, verweist auf den Unterschied zwischen Alltag und Statistik: Niemand habe Lust, im Alltag in Schubladen gesteckt zu werden, ob als Alleinerziehender oder Migrantin, so seinerzeit die Konstanzer Soziologin Claudia Diehl. Für die amtliche Statistik hätten diese Begriffe aber hohen Wert.

Der Wert lag vor 17 Jahren darin, besser Benachteiligungen aufzuspüren, die mit den bis dahin gültigen sehr groben Kategorien "Deutsche" und "Ausländer" nicht zu erfassen waren: So konnten auch Aussiedler:innen oder Kinder türkischer Eltern zwar einen deutschem Pass haben, aber unter Sprachdefiziten und Diskriminierung leiden. Außerdem machten die Zahlen über die Menschen mit Migrationshintergrund deutlich, wie vielfältig Deutschland war und immer stärker wurde. Im Jahre 2020, dem letzten Jahr, für das die Zahl bekannt ist, lag ihr Anteil bei 26,7 Prozent.

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So wie der Migrationshintergrund seinerzeit die sehr grobe statistische Unterscheidung zwischen "Deutschen" und "Ausländern" ergänzte, so soll jetzt die Rubrik "Eingewanderte und ihre Nachkommen" wieder einer veränderten Realität Rechnung tragen: Die Kritik, die zuletzt quasi offiziell die Kommission Integrationsfähigkeit der letzten Bundesregierung vortrug, lautet nämlich: Er bildet sie nicht mehr ab, wirft frisch eingewanderte Arbeitsmigrant:innen und Geflüchtete, Kinder der Gastarbeitergeneration und Menschen, die hier seit Generationen leben, in einen Topf. Und diskriminierend sei er außerdem.

Mit der Kategorie "Eingewanderte und ihre Nachkommen" reagiert das Statistische Bundesamt auf diese Kritik - auch den Namen hatte die Kommission vorgeschlagen. Sie soll nur noch Einwander:innen und ihre Kinder zählen, nicht mehr die Enkelgeneration. Entscheidend ist außerdem deren Migrationserfahrung: Nur wer selbst oder wessen Eltern nach Deutschland eingewandert sind, gehört dazu. Wer dagegen nur einen ausländischen Vater oder eine nichtdeutsche Mutter hat, wird nicht mehr mitgezählt. Hintergrund ist, dass die Forschung zeigte, dass bereits ein deutscher Elternteil genügt, dass Kinder etwa in der Schule nicht weniger Unterstützung oder mehr Diskriminierung erfahren als deutsch-deutsche.

Keine klare Definition von "Migrationshintergrund"

"Auch an der neuen Form der Erhebung gibt es bereits Kritik", sagt Anja Petschel aus der Migrationsabteilung des Statistischen Bundesamts. Einer der Gründe sei, genau der: Dass nämlich Menschen mit „einseitigem Migrationshintergrund“ - also die, bei denen lediglich ein Elternteil ihn hat - nicht mehr unter die neue Definition der „Eingewanderten und ihrer Nachkommen“ fallen. Die ethnische Buntheit Deutschlands wird folglich nicht mehr so gut abgebildet wie mit dem alten Migrationshintergrund, ein Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund fällt raus.

So bleibt es erst einmal bei der bisher gültigen Statistik, die neue wird parallel geführt. Die Behörde gibt sich eine Testphase von zwei bis drei Jahren. "Wir wollen abwarten, wie Politik, Behörden und Öffentlichkeit die Neudefintion annehmen, und dann entscheiden. Wenn Nachfrage besteht, wäre es auch denkbar, beide Datenangebote weiterzuführen." Wobei die neue Statistik, so heißt es aus der Behörde, den Vorteil habe, dass sie die eingewanderte Bevölkerung nach ähnlichen Kriterien zählt wie viele andere Statistiken weltweit. Damit würden die deutschen Daten international vergleichbarer, als es der "Migrationshintergrund" erlaubt. "Gegebenenfalls werden wir die Kriterien auch noch etwas anpassen, wenn sich die öffentliche Diskussion hierzu weiterentwickelt", meint Petschel. Ein neues Gesetz brauche man jedenfalls auch für "Eingewanderte und ihre Nachkommen" nicht. Man habe festgestellt, dass das Mikrozensusgesetz in der aktuellen Fassung aus dem Jahre 2016 im Wesentlichen ausreiche.

An anderer Stelle wäre Nachschärfen per Gesetz nötig. Derzeit meinen unterschiedliche Statistiken Unterschiedliches, wenn sie den "Migrationshintergrund" abfragen. "Es gibt keine gesetzlich verankerte Definition des Migrationshintergrundes", sagt Petschel. "Aber der Vorschlag der Fachkommission Integrationsfähigkeit ist ein erster Ansatz zu einer Harmonisierung der Definitionenvielfalt." Aktuell gilt, was das Mikrozensusgesetz definiert, nur für den Mikrozensus. Der große Zensus dagegen, der zuletzt 2011 erhoben wurde und jetzt wieder ansteht, geht von einem anderen "Migrationshintergrund" aus.

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