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Was hat der 20-jährige Einsatz der Bundeswehr gebracht? Eine Bilanz ist überfällig, doch niun gibt es Streit.

© Maurizio Gambrini/picture alliance / dpa

Abgeordnete bleiben Afghanistan-Bilanz fern: Stell' dir vor, es war Krieg und keiner schaut hin

Die Verteidigungsministerin will am Mittwoch Bilanz des Afghanistan-Einsatzes ziehen – doch weder Außenminister noch viele Bundestagsabgeordnete sind dabei.

Von Hans Monath

Wenn Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) an diesem Mittwoch den Auftakt für eine Bilanz des Afghanistan-Einsatzes gibt, wird sie das ohne Außenminister Heiko Maas (SPD) und weitgehend ohne Beteiligung von Bundestagsabgeordneten tun müssen.

Die meisten Parlamentarier, ohne deren Zustimmung keine Bundesregierung Soldaten in einen Auslandseinsatz schicken kann, wollen der Veranstaltung im Verteidigungsministerium fernbleiben, zu der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg per Video ein Grußwort beisteuert.

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„Wir haben uns interfraktionell verständigt, dass wir den Zeitpunkt dieser Veranstaltung nicht für richtig halten“, sagte Siemtje Möller, verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, dem Tagesspiegel mit Blick auf die Union, die Grünen und die FDP. Die Aufarbeitung des 20-jährigen Einsatzes dürfe zudem nicht allein der Exekutive überlassen werden und müsse im Sinne des „vernetzten Ansatzes“ deutscher Außen- und Sicherheitspolitik auch die zivilen Bemühungen um eine Stabilisierung des Landes in den Blick nehme.

Die eigenen Leute gehen auf Distanz zur Ressortchefin

Auch die Außen- und Sicherheitspolitiker der Union verweigern sich der Einladung der eigenen Ministerin, wollten das am Dienstag aber nicht öffentlich begründen.

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„So kurz nach der Bundestagswahl ist der neu gewählte Bundestag nicht konstituiert und der Bundestag in seiner alten Zusammensetzung hat ebenso wie Ministerin Kramp-Karrenbauer für so eine wichtige Evaluation kein Mandat mehr“, kritisierte FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes gehöre in den neuen Deutschen Bundestag und müsse von einem Untersuchungsausschuss und einer Enquete-Kommission „detailliert und mit ausreichend Zeit evaluiert werden“.

Muss weitgehend alleine bilanzieren: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) genießt kaum noch Rückhalt in den Koalitionsfraktionen.
Muss weitgehend alleine bilanzieren: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) genießt kaum noch Rückhalt in den Koalitionsfraktionen.

© Kay Nietfeld/dpa

FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai sagte, der Zeitpunkt der Veranstaltung sei auch angesichts der derzeit laufenden Sondierungsgespräche für eine neue Bundesregierung „respektlos gegenüber dem Parlament“. Kramp-Karrenbauer habe die Aufgabe einer Evaluation nicht verstanden: Was in Afghanistan schief gelaufen sei, müsse „nicht nur militärisch, sondern vor allem politisch“ bewertet werden.

Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin erklärte, die Veranstaltung sei „der lachhafte Versuch einer Selbstevaluierung der scheidenden Verteidigungsministerin über das eigene Scheitern und Versagen in Afghanistan“. Kramp-Karrenbauer dürfe sich nicht wundern, „wenn sich nicht einmal Abgeordnete der Regierungsfraktionen dafür als Staffage hergeben“. Ihre Inszenierung werde eine „umfassende Aufklärung und Einschätzung der Nato-Niederlage in Afghanistan durch einen Untersuchungsausschuss im neu gewählten Bundestag“ nicht ersetzen können.

"Darüber reden, was nicht gut war" - das will die Ministerin

Der Auftakt für die Bilanz des Einsatzes im Verteidigungsministerium war ursprünglich für Ende August geplant gewesen, musste aber nach dem Fall Kabuls an die Taliban wegen des Bundeswehr-Evakuierungseinsatzes verschoben werden. „In einer kritischen Bilanz müssen wir darüber reden, was gut war, was nicht gut war und was wir gelernt haben“, erklärte Kramp-Karrenbauer in der Einladung zu der Veranstaltung.

Die Pläne des Ministeriums hatten vorgesehen, am Mittwoch eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen mit Regierungsvertretern, Abgeordneten, Bundeswehrangehörigen, Fachleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft abzuhalten. Eröffnen sollten das Event ursprünglich Ansprachen der Verteidigungsministerin, des Außenministers und des Generalsinspekteurs Eberhard Zorn. Maas sagte nach Informationen der dpa am Montagabend kurzfristig ab.

Stellte seine Kollegin im Verteidigungsressort vor vollendete Tatsachen: Außenminister Heiko Maas (SPD).
Stellte seine Kollegin im Verteidigungsressort vor vollendete Tatsachen: Außenminister Heiko Maas (SPD).

© Bernd von Jutrczenk/dpa

Vier Diskussions-Panels waren geplant, eines davon mit Abgeordneten der Bundestagsfraktionen. Dieses kann wegen der Absagen nicht wie geplant stattfinden, nur der AfD-Abgeordnete Peter Felser hatte laut Einladung zugesagt. Der Ex-Bundeswehroffizier will nun nach Angaben eines Mitarbeiters für den Auftakt der Veranstaltung in den Bendlerblock kommen.

Das Verteidigungsministerium wollte die Absagen nicht bewerten. Ein Sprecher sagte, das Ministerium habe sie „zur Kenntnis genommen“. Es sei weiterhin geplant, am Mittwoch mit der Bilanzierung des Einsatzes zu beginnen und dann am 13. Oktober die Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr in einem öffentlichen Appell zu würdigen.

„Wir meinen, dass wir das den Soldatinnen und Soldaten schuldig sind - die Würdigung, aber auch die Bilanzierung“, sagte der Sprecher. Er kündigte zudem an, dass das Ministerium den Abgeordneten die Ergebnisse der Diskussionsrunden am Mittwoch „vollständig“ zur Verfügung stellen werde.

Die Bundesregierung hatte am Dienstag bekannt gegeben, dass der Einsatz in Afghanistan mehr als 17 Milliarden Euro gekostet hat. SPD-Verteidigungsexpertin Möller sagte dazu: „Das Geld war gut angelegt in unsere Sicherheit und dafür, dass viele Afghanen 20 Jahre lang in besseren Verhältnissen leben konnten.“

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