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Angela Merkel bei ihrer letzten Regierungserklärung im Bundestag am Donnerstagmorgen.

© Tobias SCHWARZ / AFP

Sitzungsmarathon im Bundestag: Abgeordnete beschließen vor Ende der Wahlperiode zahlreiche Gesetze

Zum Ende der Legislaturperiode muss der Bundestag viel abarbeiten - und tagt bis in die Nacht. Auch langjährige Abgeordnete werden verabschiedet.

Dagmar Ziegler ist fast überrascht, dass um 02.30 Uhr schon Schluss ist. „Die Tagesordnung ist damit erschöpft. Schade eigentlich“, schließt die für den verstorbenen Thomas Oppermann nachgerückte Bundestagsvizepräsidentin die längste Sitzung der Legislaturperiode.

Da es die letzte reguläre Sitzungswoche vor der Bundestagswahl ist, am 7. September wird es noch einmal eine Sondersitzung zur Abarbeitung wichtiger Themen geben, war ein entsprechender Marathon notwendig, fast 19 Stunden dauerte die Sitzung.

Angesetzt war das Ende ursprünglich erst für 07:50 Uhr am Freitagmorgen. Dass es schneller geht, liegt vor allem daran lag, dass viele Abgeordneten ihr Reden zu Protokollgaben. So mancher Abgeordneter zweifelt, ob so lange Sitzungen sinnvoll sind, aber der Zeitdrucklässt es nicht anders zu.

Der Tagesspiegel war dabei und hat beobachtet, was zu später Stunde im Parlament entschieden wurde. Losgegangen war der Tag mit der letzten Regierungserklärung der Kanzlerin – und dem anschließenden „Schaulaufen“ der drei Nachfolgeaspiranten Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD).

Und es folgten viele Abschiede, Ex-SPD-Chef Martin Schulz verlässt das Parlament, Ex-Innenminister Thomas de Maizière und besonders emotional war es bei der Abschiedsrede von Hermann Otto Solms, der die Wahlperiode noch als Alterspräsident eröffnet hatte.

Der heute 80-Jährige verabschiedete sich nach fast vier Jahrzehnten aus der „Herzkammer der Demokratie“ betonte: „Der Deutsche Bundestag gibt die Grundlinien der Politik vor und bedient sich der Regierung zu ihrer Umsetzung. Nicht umgekehrt. Diese Aufgabe erfordert Demut vor dem Volk, aber auch Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung.“ Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der Dienstälteste und 78 Jahre alte meinte zum etwas älteren Solms mit einem Grinsen: „Für mich waren Sie immer ein relativ jüngerer Kollege.“

Wichtige Gesetze auf den letzten Metern

Und inhaltlich? Hier ein Überblick über wichtige Beschlüsse.

Mehr Klimaschutz: Das neue Klimaschutzgesetz wird beschlossen; es sieht schärfere Regelungenvor: So ist das neue nationale Ziel verankert, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden - also nur noch so viele Treibhausgase auszustoßen, wie wieder gebunden werden können.

Das Gesetz schraubt auch das Emissionsziel bis 2030 hoch. Deutschland soll nun bis dahin seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent senken. Das bedeutet auch: der CO2-Preis wird steigen, für höhere Spritpreise und Heizkosten soll es einen Ausgleich geben, aber die Details und sozial gerechte Lösungen werden eine gewaltige Aufgabe für die nächste Regierung.

Verschärftes Anti-Stalking-Gesetz: Wer einer anderen Person regelmäßig auflauert oder siewiederholt belästigt, soll künftig schneller vor Gericht landen. Um Stalking konsequenter verfolgen zu können, senkt der Bundestag die Strafbarkeitsschwelle. In Zukunft reicht es schon aus, jemanden „wiederholt“ zu belästigen und dessen Leben damit „nicht unerheblich“ zu beeinträchtigen.

Konnten bisher wegen Stalkings höchstens drei Jahre Gefängnis verhängt werden, sind nun in besonders schweren Fällen bis zu fünf Jahre möglich. Darüber hinaus steht nun auch „Cyberstalking“ unter Strafe - etwa wenn jemand auf Social-Media-Konten oder Bewegungsdaten seines Opfers zugreift.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]Mehr Schutz für Insekten: Zum Schutz von Insekten soll der Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft weiter eingedämmt werden. Mehr Gebiete wie Wiesen mit verstreut stehenden Obstbäumen oderartenreiche Weiden können unter besonderen Schutz gestellt werden. In vielen Schutzgebieten soll der Einsatz insektenschädlicher Chemikalien wie Holzschutzmitteln eingeschränkt werden.

Weitere Vorgaben sollen verhindern, dass nachtaktive Insekten von Beleuchtung angelockt werden und sterben. Zu dem Paket gehört auch eine Verordnung von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die ein Verbot des besonders umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat regelt. Als Ausgleich für Mehraufwand durch weniger Pflanzenschutzmittel will der Bund zusätzlich 65 Millionen Euro für betroffene Höfe zur Verfügung stellen.

Gesetz gegen lange Vertragslaufzeiten: Die Vertragslaufzeiten für Handytarife, Streamingdienste oder Fitnessstudios werden gesetzlich beschränkt, um den Wechsel zu einem anderen Anbieter zu erleichtern. Die neue Regelung soll Verbrauchern auch die Kündigung ihrer Verträge erleichtern.

„Lange Vertragslaufzeiten und lange Kündigungsfristen beschränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und hindern sie an einem Wechsel zu attraktiveren und preisgünstigeren Angeboten“, betont Justizministerin Christine Lambrecht (SPD).

Künftig dürfen Verträge in der Regel nur noch ein Jahr lang laufen. Längere Laufzeiten von bis zu zwei Jahren sind nur erlaubt, wenn der Kunde gleichzeitig auch ein Angebot über einen Ein-Jahres-Vertrag bekommt, der im Monatsdurchschnitt maximal 25 Prozent teurer ist.

Reisebeschränkungen, Mietrecht und Bundeswehreinsätze

Mord oder Völkermord: Bei schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord oder Kriegsverbrechen kann Verdächtigen künftig ein zweites Mal der Prozess gemacht werden, wenn neue Beweise auftauchen -eine Änderung der Strafprozessordnung. Die Liste der „Wiederaufnahmegründe“ wird nun um schwere Straftaten erweitert, die nicht verjähren: Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen eine Person.

Reisebeschränkungen: Coronabedingte Einreisebeschränkungen können weiter greifen, auch wenn die Pandemie-Lage nationaler Tragweite ausläuft. Dafür wurde das Infektionsschutzgesetzesgeändert. Am 25. März 2020 hatten die Abgeordneten erstmals eine „epidemische Lage“ festgestellt und diese zuletzt bis maximal Ende September verlängert.

Sie gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen - etwa zu Tests, zu Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise. Bei der nun beschlossenen Regelung geht es aber nur um Einreisebeschränkungen, die auch ohne diese rechtliche Grundlage weiter gelten können sollen -wenn auch nur maximal für ein Jahr nach Aufhebung der Lage. Bei AfD, FDP und Linken stieß dies auf Ablehnung. Eine derart massive Einschränkung von Grundrechten sei nicht hinnehmbar, wenn keine epidemische Lage mehr vorliege.

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Mietrecht: Städte und Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern müssen künftig einen Mietspiegel erstellen. Damit sollen Mieter besser vor überzogenen Mieterhöhungen geschützt werden. In mehr als80 der 200 größten deutschen Städte gebe es derzeit keinen gültigen Mietspiegel, sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. Ohne Mietspiegel sei die Mietpreisbremse aber „faktisch unwirksam“. Denn Mietspiegel werden genutzt, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Damit werden Mieterhöhungen begründet und bei einem Umzug in ein Gebiet mit Mietpreisbremse zulässige Höchstmieten errechnet. Fehlt jedoch ein Mietspiegel, können Vermieter hier tricksen.

Raubkunst: Die mehr als 23 000 Stiftungen in Deutschland bekommen einen neuen Rechtsrahmen. Damit soll die Rückgabe von NS-Raubkunst und Kolonialobjekten aus Stiftungsbesitz vereinfacht werden. Mit der Reform wird n klargestellt, dass Stiftungen an der Rückgabe ihres Kulturguts nicht dadurch gehindert werden, dass es ein Teil des zu erhaltenden Stiftungsvermögens ist.

Bundeswehreinsätze: Die Bundeswehr bleibt weiter im Kosovo und vor der libanesischen Küste stationiert. Im Rahmen der Nato-Mission KFOR können unverändert bis zu 400 deutsche Einsatzkräfte in den Kosovo geschickt werden. Sie sollen die öffentliche Ordnung sichern und den Aufbau einer zivilen Friedensordnung unterstützen. Bei der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen sollen bis zu 300 deutsche Soldatinnen und Soldaten den Waffenschmuggel in den Libanon unterbinden.

Raue Töne auch zum Ende des Wahlperiode

Insbesondere in der Debatte um den Kosovo-Einsatz kommt es immer wieder zu verbalen Angriffen. So kritisiert der Abgeordnete Dieter Dehm von den Linken die damalige Entscheidungen von SPD und Grünen zum Kosovo-Krieg und wirft dem ehemaligen Grünen-Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer vor, die Menschen damals in „dieselben Luftschutzkeller“ getrieben zu haben, „in denen sie schon vor der Wehrmacht gesessen hatten“.

Am Abend zeigt sich dann auch noch einmal der durch den Einzug der AfD veränderte Ton. In der Aussprache zum Bericht der Kommission Antiziganismus benutzt der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier mehrfach den Begriff „Zigeuner“. Als Reaktion wirft der SPD-Abgeordnete Helge Lindh der AfD vor, sich in die „Tradition des Nationalsozialismus“ einzureihen. Auch Susann Rüthrich, ebenfalls von der SPD, fordert mit Blick auf die AfD, „den heutigen Demokratiefeinden im hohen Haus nie zu einer Mehrheit zu verhelfen“.

Ebenfalls für Diskussionen sorgt ein Antrag der AfD-Fraktion, der die Bundesregierung dazu auffordert, keine gendergerechte Sprache zu verwenden. Die Fraktionen der Union und der FDP sind zwar ebenfalls keine Freunde der gendergerechten Sprache, kritisierten die AfD aber dennoch für den Antrag. So resümiert Phillipp Amthor (CDU) die Legislaturperiode in Richtung AfD folgendermaßen: „Es gehört leider zu den traurigen Konstanten dieser Wahlperiode, dass wir uns Donnerstagabends immer mit ihrem Klamauk beschäftigen müssen“. Weiter kritisiert Amthor, die Parlamentssprache sei bereits geklärt, wer Gendern weiter diskutieren möchte, könne das auf „dem Samtsofa in Berlin-Mittemachen“. (mit dpa)

Nicolas Lepartz

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