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Herr des Hauses – und der Ausweise. Bundestagspräsident Norbert Lammert will die Zahl der Lobbyisten mit permanentem Zugangsrecht begrenzen.

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Bundestag: Ab heute keine Hausausweise für Firmenlobbyisten mehr

Die neue Regelung für Bundestagsausweise tritt an diesem 1. März in Kraft. Sie löst Frust und Verunsicherung aus. Und es gibt weniger Transparenz als vorher.

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Seit heute morgen ist Schluss – offiziell zumindest. Von nun an gelten neue Regeln für den Lobbyisten-Zugang zum Bundestag. So hatte es der Ältestenrat Mitte Februar beschlossen.

Wichtigste Neuerung: Nur noch die Bundestagsverwaltung, sprich Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), hat die Gewalt über Dauerausweise, die den ungehinderten Zugang möglich machen. Die Fraktionen, über die bis dato die meisten Ausweise verteilt wurden, sind außen vor. Die Hausausweise für Firmenvertreter werden damit ersatzlos gestrichen. Suchen Konzerne wie der Autobauer Volkswagen oder der Ölmulti ExxonMobil den direkten Kontakt zu Abgeordneten, müssen sich ihre Vertreter einen Tagespass geben und sich von Fraktionsmitarbeitern an der Pforte abholen lassen – oder man trifft sich außerhalb des Parlaments. Gleiches gilt für staatliche oder staatsnahe Unternehmen, etwa die KfW Bankengruppe, die bisher mehr als 20 Leute akkreditieren ließ. Auch für sie gilt: Sind sie mit Abgeordneten verabredet oder werden in Fraktionen oder Ausschüssen als Sachverständige benötigt, muss das organisiert werden.

Bisher hatten hier die Parlamentarischen Geschäftsführer in einem Geheimverfahren Organisationen benannt, die einen Ausweis bekommen sollten, gut 1100 waren es zum Schluss. Betroffen sind übrigens auch die Kirchen, die sich auf diesem Weg ebenfalls Dauertickets verschafften.

In den vergangenen Tagen herrschte rege Betriebsamkeit in den Büros der Betroffenen. Weil die Bundestagsverwaltung bislang weder mit Verbandsvertretern noch anderen Betroffenengruppen über die Neuerungen kommunizieren wollte, war vielen gar nicht bewusst, dass die Tore des Parlaments für sie ab 1. März verschlossen bleiben. Damit das durch den Beschluss entstehende Chaos nicht uferlos wird, mussten wieder die Fraktionen ins Spiel gebracht werden. Für ihre Parteizentralen, aber auch für die Vorfeldorganisationen, schleusen sie nun wieder Listen mit Namen in die Bundestagsverwaltung, damit dort die Hausausweise ausgestellt werden. So kommen zum Beispiel die Mitarbeiter der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) auch nach der Neuregelung in den Genuss der begehrten Ausweise. Und das, obwohl sie nach dem Buchstaben des Ältestenratsbeschlusses weder Parteiorganisation noch parteinahe Stiftung und auch kein Verband im herkömmlichen Sinn sind.

Die Verbände können weiterhin Hausausweise bekommen

Die nämlich, die Verbände, können weiterhin Hausausweise bekommen. Allerdings nur, wenn sie im Bundestags-Register offiziell geführt werden. Wenn auch mit Einschränkungen: Haben sie eine Repräsentanz in Berlin, können sie nur noch zwei statt wie bisher fünf Ausweise für ihre Mitarbeiter beantragen. Nachzuweisen ist dafür, dass sie „nicht nur gelegentlich“ Zugang benötigen. Dies, so heißt es im Beschluss des Ältestenrats, sei anzunehmen, wenn sie insbesondere während der Sitzungswochen „regelmäßig mehrmals wöchentlich“ ins hohe Haus kommen müssten.

Weitgehend unbeachtet ist bisher das Sonderrecht des Parlamentspräsidenten, das sich aus der Hausordnung des Bundestages ergibt. Norbert Lammert nämlich hat die Möglichkeit, über die Beschlusslage hinaus Regelungen zu treffen. Insbesondere die Kirchen-Lobbyisten hoffen darauf. Und wer bekommt noch Sonderausnahmen? Es wundert wenig, dass die, die jetzt draußen bleiben müssen, darüber spekulieren, wie man seine Beziehungen am besten einsetzt, um von Norbert Lammert doch noch eine Ausweisgenehmigung zu erhalten.

Dass damit am Ende noch weniger Transparenz als vorher herrscht, dass also die Öffentlichkeit noch weniger erfährt, wer im Bundestag ein- und ausgeht und wessen Interessen an den Bürotüren der gewählten Abgeordneten vertritt, dass schwant nun auch den Lobbybeobachtern von Abgeordnetenwatch und Transparancy International. Nachdem die Fraktionen die Listen der Interessenvertreter veröffentlichten, die mit ihrem Plazet in das Parlament kommen dürfen, war zumindest ein Schritt in Sachen Transparenz getan, sagt Wolfgang Jäckle von Transparancy und fordert nun: „Auch die Liste der Namen und Vereinigungen, die über die Bundestagsverwaltung Ausweise bekommen, muss veröffentlicht werden.“ Und von Abgeordnetenwatch heißt es: „Die Reform war zumindest halbherzig.“

Im Kreis der Ausgestoßenen, den Unternehmen, Kanzleien, Beratern und Kommunikatoren also, schwankt die Stimmung zwischen Zynismus und Angriffslust. „Wenn die Mitarbeiter der Abgeordneten demnächst fünf mal am Tag zum Eingang gehen und Gäste abholen müssen“, sagt ein Unternehmensvertreter, „dann wird es früher oder später von ganz allein eine Neuordnung geben.“ Und ein anderer, der Berliner Repräsentant der Metro AG, Michael Wedell, sieht bereits einen „Graumarkt“ für die Ausweise entstehen. Schließlich hätten Abgeordnete die Möglichkeit, ganz ohne öffentliche Beobachtung sogenannten „freien Mitarbeitern“ Ausweise zu besorgen. Oder der Weg führt über Presseausweise: Wer ein Magazin herausgibt, eine Fachpublikation, sei es auch nur im Internet, der kann einen Presseausweis und damit einen Hausausweis erhalten. Die einflussreichen Lobby-Gesprächskreise der Industrieunternehmen – Adlerkreis und Collegium – haben das Thema auf jeden Fall auf die Themenliste ihrer nächsten Treffen gesetzt. Und bei der Politikberatungsgesellschaft Degepol bereitet man sich mittlerweile auf einen Rechtsstreit vor. Der erste abgelehnte Ausweis eines Mitgliedes soll den Klageweg eröffnen – wenn es sein muss, bis nach Karlsruhe.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 1. März 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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