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Erinnerungsauftrag. Diplomaten stehen einen Tag vor dem Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima am 6. August 1945Schlange, um am Kenotaph für die Atombombenopfer in der Nähe des Hiroshima Peace Memorial Museums Blumen abzulegen.

© Eugen Hoshiko / dpa

75 Jahre nach Hiroshima: Die Erde schlägt zurück

75 Jahre nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki gibt es weltweit neue apokalyptische Ängste.

Von Caroline Fetscher

Am 6. August 1945 fiel eine Atombombe auf die Stadt Hiroshima, zwei Tage darauf eine weitere auf Nagasaki. Die Achsenmacht Japan kapitulierte, erst dann kam tatsächlich Frieden, vor 75 Jahren. Mehr als 200000 Menschen starben sofort im radioaktiven Feuerblitz, Tausende an den Folgen unheimlicher, unsichtbarer, radioaktiver Strahlung.

Keine Sprengkörper sind todbringender als Atombomben, keine schienen passender für die Logik der Abschreckung im Kalten Krieg. Die Doktrin hieß „gesicherte gegenseitige Vernichtung“, auf Englisch „mutually assured destruction“, kurz MAD. Und „mad" bedeutet „verrückt“. Auf diesem Wahnsinn beruhte der wachsende zivilisierte Konsens, wonach Nuklearwaffen zu ächten sind.

Engagierte Physiker wie Albert Einstein bereuten offen die Rolle ihres Fachs. Auf den Ostermärschen der Friedensbewegung wurde der Atompilz emblematisch, das ultimative Menetekel für das Ende der Welt als verstrahlte Trümmerwüste.

Inzwischen verbieten Verträge Atomtests sowie das Verbreiten von waffenfähigem Uranium, während nach wie vor Atommächte wie China, Amerika oder Russland existieren, Nordkorea Nuklearwaffen testet, Kernphysiker die Waffen weiterentwickeln und Japan sogar deren Anschaffung erwägt.

Ein Bild von der bedrohten Mutter Erde

Trotzdem mobilisiert die Entrüstung über atomare Aufrüstung heute weniger Leute, als früher. Zum neuen globalen Emblem avancierte nach dem Kalten Krieg das Bild der gefährdeten Mutter Erde. Aktuelle Warnungen vor der Apokalypse gelten nun dem Klimawandel: Pole schmelzen! Wälder brennen! Meerespegel steigen!

So arbeiten die Kampagnen der Gegenwart, wiederum unterstützt von engagierten Wissenschaftlern, mit neuen Untergangsszenarien. Die Verheißung der „Fridays for Future“ ist ein fundamentaler Frieden der Gattung mit ihrer physischen Grundlage, dem Planeten. Die Bewegung „Extinction Rebellion“ fordert mit ihrem Namen den Aufstand wider die Auslöschung.

Ängste vor dem Weltuntergang sind uralt und bergen das Echo vergangener Erfahrung realer Untergänge durch Flutwellen, Vulkane, Seuchen oder Erdbeben. Naturdesaster ließen sich deuten als Zorn der Götter, und die Verschonten in ihrem Glück plagte zugleich Überlebensschuld: Da wir weiterleben, werden sich die Toten oder die Götter an uns rächen, nur Buße kann uns retten.

Menschengemachter Untergang

Den Untergang des Abendlandes prophezeite dann Oswald Spengler nach dem Ersten Weltkrieg, die menschliche Seele durch Technik bedroht sah – doch nur die Seele. Mit Hiroshima, mit der Atombombe, bedrohte erstmals eine menschengemachte Apokalypse alles Leben. In wahnhafter Hybris bedrohten Menschen nicht nur Gebote des Schöpfers, sondern die Schöpfung selber – und damit sich als ganze Gattung.

Dass atomare Destruktivität aus der militärischen Logik nie vollends verschwunden ist, wird derzeit wieder deutlich, wo etwa die USA an die Wiederaufnahme von Atomtests denken. Längst hat das Journal der kritischen Atomphysiker, „Bulletin of the Atomic Scientists“ (thebulletin.org) Klima als Thema aufgenommen. Umgekehrt sollten Klimaschützer die Atomgefahr nicht unterschätzen.

Notwendig ist nichts weniger als ein globaler ethischer Klimawandel, wie er jetzt, in der Coronakrise, ansatzweise diskutiert wird, ein ethischer Sturm gegen Feinde der Demokratie, neoliberale Profitgier und die von Wahn und Paranoia geschaffenen Atomwaffen.

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