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Der historische Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Ghettos am 7. Dezember 1970 - vor genau 50 Jahren. Die Opfer der Ghettos mussten lange auf finanzielle Anerkennung warten.

© dpa

NS-Opfer: 5500 Entschädigungsfälle werden neu aufgerollt

Polen und Deutschland gedachten gerade des Kniefalls von Willy Brandt am Ghettodenkmal vor 50 Jahren. Werden jetzt auch die letzten Ghetto-Renten gezahlt?

Mehrere tausend NS-Verfolgte könnten noch ein Recht auf Rente haben, weil sie unter dem Nazi-Regime ghettoähnlich isoliert und festgehalten wurden – auch wenn sie nicht in förmlichen Ghettos wie Warschau oder Lodz leben mussten.  Wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke mitteilte, ist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) gerade dabei, ein neueres Urteil dazu “entsprechend um(zu)setzen”.  

Das Bundessozialgericht hatte in seinem Urteil am 20. Mai festgestellt, dass auch NS-Opfer, die in ghettoähnlichen Situationen leben mussten, also ihren erzwungenen Aufenthaltsort nicht verlassen durften und dort arbeiteten, das Recht auf eine so genannte “Ghetto-Rente” hätten. Der Ghetto-Begriff, den die DRV in Umsetzung eines Gesetzes von 2002 anlege, sei zu eng und müsse auf vergleichbare Situationen erweitert werden. Schon dieses Gesetz folgte einem Grundsatzurteil der Richterinnen und Richter in Kassel. Sie hatten für das Ghetto in Lodz festgestellt, dass die Arbeit der dort Eingeschlossenen einem ordentlichen Arbeitsverhältnis ähnlich gewesen sei – woraus sich Ansprüche auf Rente ergaben. Sieben Jahre später griff das Höchstgericht erneut ein, um die bis dahin übliche rigide Auslegung des Gesetzes zu beenden. Nur ein Zehntel der Berechtigten war bei den Rentenkassen mit ihren Anträgen auf, meist schmale, Rentenbeträge durchgekommen.

Der jüngste Kasseler Spruch führt nun dazu, dass nach Informationen der Abgeordneten Jelpke 5500 Fälle erneut geprüft werden, die seinerzeit abgelehnt wurden, weil die Betroffenen angeblich nicht in Ghettos festgesetzt waren.

Benachteiligung von Sinti und Roma?

Die Prüfung sollte nach Angaben aus dem Arbeitsministerium im November beginnen. Unklar ist dabei aber, wie viele davon wirklich profitieren können: Viele weitere Berechtigte dürften mittlerweile verstorben sein, ihre Erben womöglich nicht wissen, dass auch sie ein Recht auf Geld haben, das ihren Eltern oder Ehepartnern zugestanden hätte. Sollten auch Anträge von Zwnagsarbeitern dabei sein, würden auch sie weiter keinen Erfolg haben; ihre Ansprüche gelten durch das abgegolten, was in den 2000er Jahren die „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ auszahlte.

Es sei “auf jeden Fall eine gute Nachricht, dass die DRV jetzt von sich aus eine neue Überprüfung vornimmt”, kommentierte Jelpke. Sie erwarte aber, dass dies “zügig und mit größtmöglichem Wohlwollen” geschehe. Sie warnte vor allem vor erneuten Härten für verfolgte Sinti und Roma. In der Antwort auf ihre Kleine Anfrage heißt es in der Antwort der Bundesregierung nämlich, man werde “im jeweiligen Einzelfall” entscheiden, ob ihre damalige Situation tatsächlich den durch das neue Urteil veränderten Kriterien entspreche. “Wer NS-Verfolgter war und für seine Arbeit bislang keine Rente bekommt, muss diese endlich ausgezahlt kriegen, ohne weiteres Wenn und Aber”, erklärte Jelpke.

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