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NSU-Prozess. Angeklagte Beate Zschäpe mit ihren Anwälten

© dpa

207.Tag im NSU-Prozess: Streit um V-Mann, der keiner gewesen sein will

Ein rechtsextremer Zeuge leugnet, für den Verfassungsschutz gespitzelt zu haben. Die Aussage ist offenkundig falsch - und empört die Anwälte der Nebenklage. Richter und Bundesanwaltschaft reagieren scharf.

Von Frank Jansen

Der Zeuge bestreitet, was offenkundig nicht zu bestreiten ist. Marcel D. will niemals mit dem Thüringer Verfassungsschutz zusammengearbeitet haben, die anderslautende Aussage eines früheren V-Mann-Führers der Behörde sei ihm „relativ egal“, sagt der ehemalige Szeneanführer am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Auch der NSU sei ihm „leider nicht bekannt“. Die mutmaßlich falsche Aussage ist typisch für Zeugen mit rechtsextremer Biografie, doch diesmal reagieren Anwälte der Nebenklage noch heftiger als sonst.

Der Kieler Anwalt Alexander Hoffmann beantragt, der Strafsenat solle den Zeugen zwingen, überhaupt eine Aussage zu machen Unter Androhung von Ordnungsmitteln bis hin zur Haft. Weitere Anwälte fordern das auch. Und stoßen wie Hoffmann auf den entschiedenen Widerstand des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Plötzlich entbrennt im NSU-Prozess eine Debatte über rechtsstaatliche Grundsätze.

In gereiztem Ton will Richter Götzl den Anwälten der Nebenklage eine Lektion erteilen

In zunehmend gereiztem Ton will Götzl den Anwälten eine Lektion erteilen. Der Richter hält die Argumentation der Anwälte für prinzipiell falsch, weil sie sich auf den Paragrafen 70 der Strafprozessordnung beziehen. Dort werden einem Zeugen Ordnungsgeld und Ordnungshaft angedroht, wenn er die Aussage „ohne gesetzlichen Grund“ verweigert. Aus Sicht Götzls hat Marcel D. ausgesagt, ähnlich wie beim ersten Auftritt im Prozess Anfang März - aber nicht so, wie es die Anwälte wünschen. „Es gibt gute Gründe dafür, dass man nicht die Daumenschrauben ansetzt, einen Zeugen zu einer bestimmten Aussage zu zwingen“, mahnt Götzl und fordert von den Anwälten eine Diskussion „mit der nötigen Präzision“.

Paragraf 70 diene „nicht zur Erzwingung einer wahrheitsgemäßen Aussage“, betont Götzl. Dafür gebe es den Paragrafen 153 im Strafgesetzbuch. Hier ist von bis zu fünf Jahren Haft bei einer falschen uneidlichen Aussage die Rede. Dass ein Zeuge gelogen hat, muss ihm allerdings, wie bei jeder Straftat notwendig, nachgewiesen werden.

Bundesanwalt Herbert Diemer springt Götzl bei, „wir haben nach der Menschenrechtskonvention ein so genanntes Folterverbot, das gilt auch in diesem Prozess“. Die Anwälte sind empört, mit Folter in Verbindung gebracht zu werden. Doch Diemer hält die Androhung von Haft zur Erzwingung einer Aussage, weil einem die bisherige nicht passt, für rechtlich falsch und überzogen. Die Anwälte sollten „gelassen prüfen, ob der Zeuge eine Falschaussage gemacht hat“, empfiehlt der Bundesanwalt.

Anwalt Hoffmann, wie viele Prozessbeteiligte genervt von dreisten Auftritten rechtsextremer Zeugen, interpretiert die Aussage von Marcel D.  gleich als Aussageverweigerung statt „nur“ als Falschaussage. Die Kollegen, die Hoffmann beispringen, sehen das auch so. Der Antrag, die Richter sollten den Zeugen zu einer Aussage zwingen, wird aufrecht erhalten. Obwohl Götzl warnt, „wir sind hier an einem wesentlichen Punkt – ich bitte darum nicht leichtfertig zu beantragen“.

Der Senat lehnt den Antrag ab, den Zeugen zu einer Aussage zu zwingen

Der Senat zieht sich zur Beratung zurück, nach 20 Minuten verkündet Götzl den zu erwartenden Beschluss. Der Antrag werde abgelehnt. Von einer Zeugnisverweigerung könne keine Rede sein, „Zwangsmaßnahmen werden nicht verhängt“. Die Anwälte reagieren lakonisch. Obwohl sie viele Fragen an den Zeugen haben, stellen sie keine einzige mehr. Marcel D. kann gehen.  Hoffmann widerspricht allerdings der förmlichen Entlassung des Zeugen. Und der Anwalt beantragt, den früheren V-Mann-Führer von Marcel D. zu vernehmen. Nicht nur zur Spitzeltätigkeit des Zeugen, sondern auch zu dessen Kontakten zu mutmaßlichen Unterstützern von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, als sie sich von 1998 bis 2000 in Chemnitz versteckt hielten.

Der Prozess ist nun für knapp drei Wochen unterbrochen, wegen der bayerischen Pfingstferien. Nächster Verhandlungstag ist der 9. Juni. Der Strafsenat will sich da weiter mit den Raubüberfällen von Mundlos und Böhnhardt auf einen Supermarkt und Bankinstitute in Chemnitz befassen.

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