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Opferliste von Tagesspiegel und "Zeit": 137 Tote durch rechte Gewalt: Politische Reaktionen

Die von Tagesspiegel und „Zeit“ veröffentlichte Liste von Menschen, die seit 1990 infolge rechter Gewalt starben, beschäftigt jetzt die Politik. "137 Tote – das darf nicht der Preis der Wiedervereinigung sein", sagt Wolfgang Thierse.

Von Frank Jansen

Die von Tagesspiegel und „Zeit“ recherchierte Zahl von 137 Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung beschäftigt jetzt die Politik. Er werde sich an das Bundeskriminalamt wenden, „da ich es für notwendig halte, die Diskrepanz zur offiziellen Zahl klären zu lassen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), am Donnerstag in Berlin. Die Bundesregierung meldet bislang, gestützt auf Angaben der Polizei, 47 Tote. Tagesspiegel und „Zeit“ hatten am Donnerstag eine Liste mit 137 Namen von Menschen veröffentlicht, die bei Angriffen Rechter seit Oktober 1990 ihr Leben verloren haben.

Bestürzt äußerten sich auch Politiker von SPD, FDP, Linkspartei und Grünen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte, die Dokumentation lasse ihn nicht unberührt. Jedes Opfer politisch motivierter Gewalt sei eines zu viel. „Nach 20 Jahren deutscher Einheit verzeichnen wir 137 Tote – das darf nicht der Preis der Wiedervereinigung sein“, sagte Wolfgang Thierse (SPD), Vizepräsident des Bundestages, am Donnerstag. Das Glück der Deutschen, seit 1990 in einem gemeinsamen Staat zu leben, verpflichte „zum bedingungslosen Eintreten gegen rechtsextreme Gewalt“.

Die von der Linksfraktion gestellte Vizepräsidentin, Petra Pau, kündigte eine Große Anfrage zu den vielen Fällen rechter Tötungsverbrechen an, die von der Bundesregierung bislang nicht genannt werden. Pau hielt der Regierung vor, die offiziellen Angaben seien „immer unglaubwürdig“ gewesen, „egal welche Partei gerade das Sagen hatte“. Die Vizepräsidentin bezog sich auf die Diskrepanz offizieller Zahlen zu früheren Todesopferlisten, die der Tagesspiegel gemeinsam mit der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht hatte. Zuletzt zählten die Zeitungen im Jahr 2003 bereits 99 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Die Regierung nannte damals, mit Hinweis auf Angaben der Polizei, nur 39 Tote.

Kritik äußerte auch die Grünen-Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Monika Lazar. Das „Auseinanderklaffen“ der Zahlen von Tagesspiegel und „Zeit“ mit denen der Regierung sei „skandalös“. In Teilen von Polizei und Justiz werde das ausführliche Erfassungssystem zur politisch motivierten Kriminalität „kaum wahrgenommen“, sagte Lazar. Das Bundesinnenministerium hielt dagegen, das im Jahr 2001 eingeführte Erfassungssystem sei bei der Polizei „in der Fläche angekommen“. Es gebe allerdings eine „systemimmanente Bewertungsbreite“. Für die Grünen-Abgeordnete Lazar sind jedoch „derart individuelle Ermessensspielräume bei der Bewertung von Tötungsdelikten nicht hinnehmbar“.

Der FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff regte an, das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesbehörden des Nachrichtendienstes sollten ihre Öffentlichkeitsarbeit ausbauen, um die Gesellschaft stärker für das Problem des Rechtsextremismus zu sensibilisieren. Es sei sinnvoll, auch Angebote für die Justiz zur Verfügung zu stellen. Die Recherchen von Tagesspiegel und „Zeit“ hatten ergeben, dass Richter in Prozessen gegen rechte Gewalttäter einem politischen Tatmotiv kaum nachgegangen waren.

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