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Mehr als 1000 Fallschirmspringer übten in der vergangenen Woche auf dem oberpfälzischen Truppenübungsplatz in Hohenfels.

© Volker Schubert

Nato-Manöver: 1341 Fallschirmsprünge fürs Baltikum

Mit dem größten Luftlandemanöver seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zeigt die Nato Stärke - und Solidarität mit dem Baltikum und der Ukraine.

Plötzlich wird es ernst, Schüsse fallen. Unter massivem Maschinengewehrfeuer gehen die Fallschirmjäger gegen ein Dorf vor, über dessen Ortskern ein Minarett mit Halbmond auf der Spitze thront. Haus um Haus wird gestürmt, eine feindliche Raketenstellung gesprengt, zwei Terrorverdächtige festgenommen. Stets von zwei US-Kampfhubschraubern überwacht, endet der Militäreinsatz so schnell, wie er begann – unter Nebelgranaten, die den Rückflug der drei Militärhubschrauber mit den potenziellen Straftätern an Bord verschleiern. Schon ist der luftgestützte Einsatz vorbei. Die Übung geglückt.

An ihrem Truppenübungsplatz im oberpfälzischen Hohenfels will die Nato in diesen Tagen zeigen, wie professionell sie weltweit gegen terroristische Intensivtäter und gefährliche Waffenlager vorgehen kann. Terrorismusbekämpfung, also „Türen eintreten“, das könne die Nato gut, hat der deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse vor wenigen Wochen erklärt. Doch das Militärbündnis will weit mehr demonstrieren: Die hubschraubergestützte Blitzoperation ist nur das Vorabszenario für eine viel größere Luftlandeoperation – die größte in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges.

„Swift Response“ („Rasante Reaktion“) heißt das multinationale Großmanöver, das die Nato Mitte August gestartet hat und das Mitte September enden wird. Unter Führung der 82. US-Luftlandedivision trainieren derzeit 5000 Soldaten aus elf Nationen „die Aufstellung schlagkräftiger, multinationaler Eingreifkräfte, die innerhalb weniger Stunden und Tage verlegbar sind, um mit ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit die Bündnispartner in Krisensituationen zu unterstützen“, heißt es offiziell. Gleichzeitig finden ähnlich komplexe Übungen in vier weiteren europäischen Ländern statt – auf Übungsplätzen in Bulgarien, Italien und Rumänien.

Ein Signal an Russland?

Allein in Hohenfels ließ die Nato am vergangenen Mittwoch 1341 Fallschirmjäger abspringen. Für den Kommandeur der deutschen Eliteeinheiten „Schnelle Kräfte“ (DSK), Generalmajor Eberhard Zorn, bietet „Swift Response“ eine hervorragende Gelegenheit, im multinationalen Rahmen die „schnelle Verfügbarkeit von Kräften der ersten Stunde“ und „Interoperabilität“ zu üben, wie er sagt. Seine Fallschirmjäger hätten zuvor bereits an Manövern im Baltikum teilgenommen. Auf die Frage, ob „Swift Response“ mögliche militärische Antworten auf den Ukraine-Konflikt oder den expandierenden „Islamischen Staat“ (IS) im Mittleren Osten liefere, hält sich der DSK-Generalmajor eher bedeckt: „Das Szenario, das wir hier spielen, hat nichts mit aktuellen Krisengebieten zu tun.“

Beim US-Militär präsentiert man sich weniger zugeknöpft. „Swift Response“ richte sich „gegen Bedrohungen aller Art und ist der beste Weg, um sicherzustellen, dass es nicht zu einem Krieg kommt“, sagt Generalleutnant Ben Hodges, der Oberbefehlshaber der US-Army in Europa. Doch auch er betont: „Das Manöver richtet sich nicht gegen Russland.“

Trotz der martialisch anmutenden Übungsszenarien in Hohenfels setzte das Militär ganz gezielt auf Transparenz. Das soll die Teilnahme israelischer und russischer Militärdelegationen beweisen. Auch ein Antonow-Aufklärungsflugzeug durfte über Hohenfels kreisen – als vertrauensbildende Maßnahme.

Heikles Thema Baltikum

Militärexperten sehen das Ganze dennoch etwas anders. Die in Hohenfels gezeigte Nato-Machtdemonstration wird als ein klares militärisches Signal ins 1700 Kilometer entfernte Baltikum hinein verstanden. Die Angst der drei kleinen Nato-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen ist groß, das nächste Ziel des Kreml zu werden – nach der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine. Nicht vergessen ist die Drohung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Herbst 2014, seine Truppen könnten binnen 14 Tagen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stehen.

Der Schutz des Baltikums ist für die Nato allerdings ein heikles Thema. Das Bündnis hat Russland nach dem Ende des Kalten Krieges zugesichert, keine Kampfverbände dauerhaft in den baltischen Staaten zu stationieren. So kann man „Swift Response“ durchaus als militärische Option verstehen, wie das Baltikum in einem Konfliktfall schnell zu schützen wäre. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, der schwelende Ukraine-Konflikt, der IS-Terror im Mittleren Osten – da wolle die Nato gerüstet sein und Entschlossenheit demonstrieren, sagt ein Militärexperte. Ein weiteres Indiz dafür ist auch, dass die Nato sechs Kommandozentren in osteuropäischen Mitgliedstaaten in Betrieb genommen hat. Die Stützpunkte in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien hätten ihre Arbeit am Dienstag offiziell aufgenommen, teilte das litauische Verteidigungsministerium mit. In jedem der sechs Kommandozentren sind etwa 40 Offiziere eingesetzt, die Manöver und im Ernstfall auch Einsätze der neuen schnellen Eingreiftruppe koordinieren sollen.

Auch die Russen üben

24 Stunden vor der vorab kommunizierten Luftlandeübung in Hohenfels hat das Moskauer Verteidigungsministerium einen Übungsalarm ausgelöst. Im Nordwesten Russlands wurden mehr als 1000 Panzergrenadiere, Artilleristen und Kampfpiloten aktiviert, um „feindliche Angriffe“ zu Lande und in der Luft abzuwehren, wie das russische Staatsportal „Sputnik“ bekannt gab. In den russischen Wehrbezirken Mitte und West führe man „strategische Übungen“ mit mobilen Atomraketen durch, und in der Ostsee finde ein Raketen- und Artillerieschießen der russischen Baltic-Flotte statt. Die russische Reaktion ist mehr als deutlich.

Dabei bildet „Swift Response“ nur den Auftakt für weitaus größere Militärmanöver. „Trident Juncture 2015“ heißt die nächste Nato-Großübung, die von Ende September bis Anfang November in Italien, Portugal und Spanien stattfinden wird. Bei ihr sind mehr als 36 000 Nato-Soldaten eingeplant. (mit AFP)

Volker Schubert

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