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US-Wahlen polarisieren auch in Deutschland: 120 000 Stimmen für die US-Wahl

Donald Trump oder Joe Biden: Einer wird gewinnen. Die 120 000 in Deutschland lebenden US-Bürger dürfen ihre Stimme abgeben.

So viel Interesse war nie. Rund 120 000 Amerikaner leben in Deutschland, 21000 davon in Berlin. Auch sie dürfen ihre Stimme abgeben, wenn in den USA der Präsident gewählt wird. Aber selbst die Deutschen, die an ihren Infoständen vorbei gegangen sind, hatten meist aufmunternde Bemerkungen parat, hat die Vorsitzende der „Democrats Abroad“, Candice Kerestan beobachtet: „Toi,toi,toi!“ oder „Wir drücken die Daumen.“ George Weinberg, Direktoriumsmitglied bei den „Republicans Overseas Germany“ und Ratgeber bei der weltweiten Organisation wird dagegen „nicht die Werbetrommel rühren“. Das sei eine politische Entscheidung, weil seine Partei deutsches Hoheitsgebiet respektiere. Allerdings nutzt er Auftritte in Talkshows, um die Positionen der Republikaner auch in Deutschland bekannt zu machen und zu vertreten. Am Wahlabend wird er bei Phoenix und im ZDF zu sehen sein. Und auch die hier ansässigen großen transatlantischen Organisationen, darunter die American Academy und das Aspen Institute, haben bereits Anfang September eine virtuelle Veranstaltungsreihe gestartet mit dem Titel „Road to Election Night & Beyond“.

Fiebern bei den Wahlpartys

Das deutsche Interesse an US-Wahlen ist nicht neu. Als 2008 Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde, hallte in der Wahlnacht der Jubel auch durch Berlin: In der Telekom-Repräsentanz, wohin die US-Botschaft und der Tagesspiegel geladen hatten, war er zu hören, in der Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden, in Clubs und an den Universitäten. Im überfüllten Kino „Babylon“, wo damals die „Democrats Abroad“ die größte Party veranstalteten, tanzten die Menschen auf den Bänken.

Flop bei der Briefwahl

George Weinberg, der halb in Berlin, halb in Florida lebt, saß vor vier Jahren mit seiner Frau und Freunden bei einer Party zu den bislang letzten US-Wahlen in der Landesvertretung Baden-Württemberg. Sie fühlten sich ziemlich in der Minderheit, weil ringsum alle sich auf den Wahlsieg von Hillary Clinton freuten. Umso größer war ihre Freude, als sie am nächsten Morgen erfuhren, dass Donald Trump der nächste US-Präsident sein würde. Dabei war Weinbergs Stimme nicht mal gezählt worden. Darüber ist er immer noch hörbar verärgert. Um per Post zu wählen, musste er zwei Unterschriften leisten, eine auf dem Umschlag, eine zweite auf dem Wahlzettel. Diese beiden Unterschriften hätten sich nicht geähnelt, sei ihm mitgeteilt worden, deshalb sei die Stimme nicht gewertet worden. Diesmal hat sich vorsichtshalber vorab erkundigt, ob seine Stimme auch gültig ist. Vieles, was mit Wahlen in den USA zu tun hat, ist nicht unkompliziert. In etwa 35 US-Bundesstaaten immerhin gehe das schon online per Mail, sagt Candice Kerestan. In 25 anderen, wie etwa New York, nur mit der traditionellen Post. Auch in Kalifornien kann man noch nicht per Mail abstimmen, aber dafür zusätzlich zur traditionellen Post auch per Fax die Stimme abgeben, wenn man auf Geheimhaltung bewusst verzichtet. Die Fristen variieren ebenfalls von Staat zu Staat. In manchen Fällen zählt der Absendebriefstempel vom 3. November, in anderen der Eingangsbriefstempel vom Wahltag.

Wähler in Deutschland gewinnen

Sowohl bei den Republikanern wie auch bei den Demokraten bitten derzeit Wahlberechtigte um Hilfe. Candice Kerestan empfiehlt immer einen Besuch auf der Homepage (www.democratsabroad.org). Sie selbst hat, bevor die Anmeldefrist zu den Wahlen in ihrem Heimatstaat Pennsylvania ablief, eine ganze Nacht damit verbracht, ungefähr 500 Leute anzumailen, die sie aus der High School oder vom College kennt, um sie zum Wählen zu mobilisieren: „Habt ihr euch angemeldet?“, fragte die 27-jährige, die an der Universität Bonn in Politikwissenschaft promoviert. Bei der Wahlwerbung ging es ihr vor allem darum, langjährige Mitglieder zu animieren, auf jeden Fall ihre Stimme abzugeben, und neue Wähler zu gewinnen, die den „Democrats Abroad“ bisher nicht bekannt waren. „Infostände haben wir vor allem dort aufgebaut, wo sich Amerikaner gern aufhalten“, erzählt Candice Kerestan. Dazu gehörten einschlägige Cafés und Restaurants, aber auch Märkte. Neben den 28 Vorstandsmitgliedern sind in Deutschland 200 freiwillige Helfer unterwegs, um die „Democrats Abroad“ zu unterstützen. Manchmal sind sie genervt von den Deutschen. „Immer wieder müssen wir die gleichen Fragen beantworten“, sagt Candice Kerestan seufzend. „Was ist los mit euch? Was ist los mit eurem Land?“ Dauernd gelte es zu erklären, dass Trump nicht Amerika ist, fügt sie hinzu. Viele Amerikaner, wie sie selber, dächten ja ganz anders.

Mehrheit demokratisch

Sie ist überzeugt, dass die Mehrheit der US-Bürger, die in Deutschland leben, demokratisch wählen. „Sie kennen das gute Gesundheitssystem hier, den einfachen Zugang zu Bildung und wollen das auch in ihrem eigenen Land verwirklichen.“ Corona habe der Wahlmotivation zusätzlich einen Schub verpasst. Anders als vor vier Jahren sei die Stimmung diesmal freilich nicht so siegesgewiss. "Natürlich hoffen wir, dass Joe Biden gewinnt. Aber wir kämpfen bis zur letzten Sekunde“
Eine Wahlparty wird es nicht geben. Immerhin auf Zoom kommen die deutschen Democrats in der Wahlnacht zusammen. "Wir sind flexibel", sagt die Vorsitzende. Auch die Republikaner planen derzeit keine Party, "weil das auch nicht in die Zeit passt".

Keine Dollars für die Republikaner

George Weinberg betont gern, dass die „Republicans Overseas“ kein Geld aus den USA erhalten: "Keinen Penny!" Zu den Zielen, die Republikaner in Deutschland verfolgen, gehöre die Befreiung der hier lebenden US-Bürger von der Pflicht eine Steuererklärung in den USA abzugeben. Besonders auch für Unternehmen seien diese Steuererklärungen sehr mühsam und sehr kostspielig. Wie viele Republikaner es in Deutschland gibt, weiß er nicht. Er wisse allerdings von vielen Top-Managern und Unternehmern, dass sie den Republikanern nahestehen. „Aber sie sagen es nicht öffentlich.“ Das wäre auch unklug und würde ihren Unternehmen womöglich schaden, glaubt er, „angesichts des Hasses und der Hetze in den deutschen Medien gegen Präsident Donald Trump“. Ihm ist diese Stimmung völlig unverständlich. Gefragt, welche Gründe aus seiner Sicht für Donald Trump sprechen, beginnt er einige der 50 Punkte, die er sich dazu notiert hat, aufzuzählen. In den ersten drei Jahren, bevor die Pandemie ausbrach, habe er fast 10 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, habe „schlechte Verträge gekündigt, die Obama abgeschlossen hat“ und sehr erfolgreich ISIS bekämpft. Er weiß von den Mail-Kommentaren, die er zu seinen Fernsehauftritten bekommt, „dass auch hier in Deutschland viele gebildete, intelligente, gut informierte Menschen“ seiner Argumentation folgen können. China spiele eine große Rolle. Republikaner informierten sich am liebsten im Internet über Fox TV. Von CNN hält Weinberg gar nichts. „Sogar Al Jazeera ist objektiver als die.“

Schweigende Mehrheit

Auch im Aspen Institute verfolgt man die Wahlen sehr aufmerksam. Das geht sogar leichter, als früher, weil es bei virtuellen Zusammenkünften egal ist, auf welcher Seite des Atlantiks die Diskussionsteilnehmer gerade sitzen. „Die Welt ist plötzlich ein großes Wohnzimmer“, freut sich Aspen-Direktor Rüdiger Lentz. Ein differenziertes Bild zu bekommen, aufmerksam zu werden auf Dinge, die zu kurz gekommen sind, das ist sein Ziel. „Die Deutschen stürzen sich auf Trump und haben ihr Feindbild zementiert“, sagt er. „Als ginge es um Beelzebub versus Heilsbringer.“ Aber nicht alles sei falsch, nur weil Trump es sagt. „Und auch wenn Joe Biden Präsident wird, werden dadurch nicht die Konflikte ausgeräumt.“ Er erwartet, dass dann weiter über China, die Handelsbilanzproblematik und die Rüstungskooperation gesprochen und gestritten wird. „Nur wird das in einem freundlicheren Ton geschehen.“ Er bemüht sich um Fairness. „Trump hat manche Dinge auf die Agenda gebracht, die da auch hingehören.“ Er sei auch gewählt worden, weil er die schweigende Mehrheitsmeinung reflektiere.
Rüdiger Lentz gehört zu den Mitinitiatoren der virtuellen Wahlveranstaltung am 3. November, bei der es auch um die persönliche Bindung der Teilnehmer an die USA gehen soll. Für die Zeit nach der Wahl glaubt er, rücke Kompromissfähigkeit künftig in den Vordergrund. „Wir sind nicht mehr nur Freunde und Partner, sondern auch Interessengegner.“ Im Aspen Institute lege man Wert darauf, beide Seiten abzubilden.

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