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Im tschechischen Atomkraftwerk Temelin kam es in der Vergangenheit zu Pannen.

© picture alliance/dpa

10 Jahre nach Fukushima: Warum europäische Staaten weiter auf Atomkraft setzen

Deutschlands letztes Atomkraftwerk geht 2022 vom Netz. In Europa setzen viele Staaten länger auf die Kernenergie. Wie gefährlich ist das?

Als die Bundesregierung im 14. März 2011 die deutschen Kernkraftwerke vom Netz nahm, nur drei Tage nach der Havarie von Fukushima, war dies nicht nur für Atomkraftgegner eine Erleichterung. Viele Kraftwerke wurden gar nicht wieder angefahren, im Juni 2011, nur neun Monate nach der Laufzeitverlängerung, der zweite Atomausstieg beschlossen. Zu groß war der Schock darüber, dass sich eine solche Reaktorkatastrophe in einem Hochtechnologieland wie Japan ereignen konnte. Ende 2022 gehen mit Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 die letzten deutschen AKW vom Netz.  

Nur: Kein anderes Land vollzog den Atomausstieg so konsequent. Auch in Europa halten zahlreiche Staaten weiter an der Kernenergie fest – teils mit jahrzehntealten Meilern. Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen im vergangenen Oktober zeigte, dass 43 AKWs in Europa schon über ihre ursprüngliche Laufzeit verlängert worden sind. Zehn alleine sind es in Frankreich, vier in Tschechien, je drei in der Schweiz und in Belgien und eines in den Niederlanden. In weiterer Entfernung kommen sechs Reaktoren in der Ukraine, fünf aus Großbritannien und vier in Finnland hinzu.  

Anlässlich des zehnten Jahrestages der Havarie von Fukushima forderten die Grünen in einem Antrag im Bundestag, die Ausfuhr von Kernbrennstoffen aus deutscher Produktion in ausländische Anlagen zu verhindern, darunter ins französische Cattenom, die belgischen Doel und Tihange, Borssele in den Niederlanden und Temelin in Tschechien. Auch das Bundesumweltministerium (BMU) von Svenja Schulze (SPD) forderte in der Vergangenheit den Exportstopp in grenznahe Alt-AKw. Dies europarechtlich umzusetzen, gilt als enorm schwierig.   

Sicherheitsbedenken wegen belgischer Meiler

Ebenso schwer ist der Einfluss auf die Nachbarländer: Die ältesten Meiler stehen mit Beznau 1 und 2 in der Schweiz, in Betrieb genommen 1969 und 1971 – einst ausgelegt auf einen Betrieb von 40 Jahren. Gerade bei dem ältesten Kraftwerk des Landes traten in der Vergangenheit Probleme auf, immer wieder gab es Zweifel an der Sicherheit. Offenkundig scheint, warum die Meiler noch laufen: Laut dem Schweizer Bundesamt für Energie stammt der in der Schweiz produzierte Strom zu 35 Prozent aus Kernkraft, noch immer. Die langsame Energiewende soll wohl auch eine Kostenexplosion beim Umbau der Energieerzeugung vermeiden.   

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Zögerlich verlief lange Zeit auch die Energiewende in Belgien. Schon seit 2003 zieht sich der Atomausstieg – derart lang auch aus Gründen der Energieversorgung. Belgien hatte etwa im Herbst 2018 erhebliche Versorgungsprobleme, als nur einer der sieben Reaktoren zur Verfügung stand. Dies erhielte in Deutschland weniger Aufmerksamkeit, wenn die belgischen Meiler Doel-1 und 2 sowie Tihange, alle seit Mitte der 1970er am Netz, nicht so umstritten wären. Jahrelang begleitete die Bundesregierung die Probleme um die Kraftwerke. Immer wieder wurden Sicherheitsbedenken geäußert. Bis 2025 sollen sie nun endgültig vom Netz gehen.  

56 AKW - Frankreich hängt von der Kernenergie ab

Einen ganz anderen Weg geht Frankreich – in Europa das Land mit den meisten AKW. Erst vor wenigen Wochen entschied die französische Atomaufsicht, den Weg für die Laufzeitverlängerung der ältesten 32 Kraftwerke des Landes frei zu machen. Teilweise haben sie ihre Betriebslaufzeit von 40 Jahren längst erreicht, wurden bereits Anfang der 1980er Jahre ans Netz genommen. Zwar knüpfte die Autorité de Sûreté Nucléaire die Verlängerungen an zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, doch könnten die Kraftwerke nun 50 Jahre laufen.

Umweltministerin Schulze kritisierte die Entscheidung ebenso wie Grüne und Linke im Bundestag. Die Vorsitzende des Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) sprach diesbezüglich von einem "gravierenden Sicherheitsrisiko" für Europa.

Der Schritt Frankreichs ist auch der Abhängigkeit des Landes von der Atomenergie geschuldet. Noch 2019 wurden rund 71 Prozent des erzeugten Stroms in Frankreich aus Atomkraft gewonnen. Noch heute laufen 56 Kraftwerke. Für Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ist die Kernenergie ein „Teil des Übergangs“ hin zu einem klimaneutralen Kontinent – als Teil des Klimaschutzes.  

Polen plant den Bau von sechs Atomreaktoren

Nicht nur Macron denkt so. Während die Regierungen Ungarns und Tschechiens neue AKW planen, naht in Polen sogar der Einstieg in die Kernenergie. Insgesamt sechs Reaktoren an zwei Standorten sollen entstehen, der erste 2033 in Betrieb gehen. Kurz vor der UN-Klimakonferenz in Kattowitz 2018 stellte die Regierung erstmals die Pläne vor, die das Land weniger abhängig von Kohle und Stromimporten machen sollen – und die CO2-Emissionen senken. Polen erzeugt etwa 70 Prozent seiner Energie mit dem fossilen Energieträger.  

Der Bundesregierung machen die Pläne Sorge – und sie zeigen das Dilemma. Geht es um die Energieerzeugung, sind auch die EU-Staaten souverän, der Einfluss ist mittelbar. Das BMU will dennoch mitreden und hierfür die Espoo-Konvention nutzen, ein Instrument zur Beteiligung betroffener Staaten und deren Öffentlichkeit an Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Dabei geht es um Vorhaben, die erhebliche grenzüberschreitenden Auswirkungen haben können. Über diesen Hebel will das BMU auch in Polen mitreden, wie Staatssekretär Jochen Flasbarth im Januar deutlich machte.  

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