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Charlotte Watzlawik studiert Gesang im Master Oper in der Klasse von Prof. Carola Höhn.

© Daniel Nartschick

Oper an der UdK: Das Glück der Bühne – ein Tagebuch

Persönliche Aufzeichnungen eines außergewöhnlichen Probenprozesses: auf dem Weg zur diesjährigen Opernproduktion „Frühling, Erwachen“.

Mittwoch, 21.4.

Morgen früh steht die erste Probe an, live und in Farbe. Bisher hatten wir zwei Online-Leseproben, die soweit gut verliefen. Das Team und die Besetzung scheinen supernett, motiviert und engagiert zu sein.

Ein wenig enttäuscht bin ich allerdings, dass ich kaum jemanden meiner Spielpartnerinnen und -partner  kenne. Und noch habe ich eine gewisse Skepsis gegenüber dem Stück, was sehr fragmentartig daherkommt und es schwer macht, einen roten Erzählfaden zu finden und in einen Flow zu kommen.

Donnerstag, 22.4.

Meine anfängliche Skepsis wurde von Freude abgelöst – großer Freude, weil es unglaublich befreiend ist, mit anderen Menschen auf der Bühne zu stehen, zusammen zu spielen, eine Szene zu erarbeiten, einen Moment zu erfassen und zusammen zu musizieren.

Über ein Jahr ist es her, dass ich das erleben durfte. Ich wusste gar nicht, wie sehr es mir gefehlt hat!

Freitag, 30.4.

Heute habe ich mit Chunho, dem Melchior der anderen Besetzung, die Szene der Vergewaltigung gestellt. Alles geschieht auf sechs Meter Abstand, wenn wir singen. Wenn nicht, auf eineinhalb Meter. Wir berühren uns nicht, und doch ist es eine nachvollziehbare Szene, die es in sich hat.

Geprobt wird die Oper „Frühling, Erwachen“ von Máté Bella nach „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind.
Geprobt wird die Oper „Frühling, Erwachen“ von Máté Bella nach „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind.

© Daniel Nartschick

Ein wenig hatte ich unterschätzt, was das Spielen der Szene trotz des Abstands mit einem macht. Allein die Vorstellung reicht, und der Abstand verringert die dabei entstehenden Emotionen kaum, vielleicht vergrößert er sie sogar. Danach brauchte ich etwas Zeit, um mich zu sammeln und zu verstehen, was da gerade eigentlich passiert ist.

Mittwoch, 12.5.

Heute hatte ich vor der Abendprobe meine Kostümanprobe. Es hat Spaß gemacht, denn die Kostüme gefallen mir sehr, vor allem die Schuluniform. Für die letzte Szene soll ich einen Babybauch tragen.

Der Probebauch aus der Requisite war etwas gewöhnungsbedürftig, da Hoden und Penis aus Stoff und Murmeln noch unten angenäht waren. So etwas hatte ich auch noch nie an ... – wir hatten viel Spaß!

Samstag, 22.5.

Durch die Beurlaubung für mein Abschlusskonzert und weil ich davor und danach nicht eingeteilt war, habe ich nun zehn Tage ausgesetzt.

Marie und Isabel zeigten mir heute, was sie für die Szene 6 überlegt haben, und ich muss sagen, es ist heftig! Ich verstehe natürlich, dass für die Bühne die Todesursache „Stirbt am verabreichten Abtreibungsmedikament“ etwas zu passiv ist. Zumal im Original- als auch im Notentext davon ja eigentlich auch nichts gezeigt, sondern nur in Wendlas Abwesenheit darüber gesprochen wird.

Isabel möchte das, genauso wie viele andere Aktionen und Sachverhalte, die in diesem Stück „herumgeistern“, besser hervorheben. Diese Herangehensweise finde ich sehr sinnvoll. Wir sind ja auf der Bühne, um etwas zu zeigen und nicht, um im Nachhinein zu erzählen, was gerade in Abwesenheit des Publikums passiert ist.

Wir haben nun also eine Abtreibungsszene erarbeitet, die sich empfindlichere Gemüter besser nicht ansehen sollten. Mir persönlich ging es beim Proben und auch danach eigentlich besser als bei der Vergewaltigungsszene. Nicht, weil das Thema weiter weg von mir ist, sondern vielleicht, weil ich Maries Rat gefolgt bin, mich nur auf die Äußerlichkeiten, nur auf den Bewegungsablauf zu fokussieren. Das ist darstellerisch auch gar nicht so dumm, da unseres Erachtens die ganze Szene eh' wie im Wahn abläuft. Wendla realisiert und reflektiert in diesem Moment ihr Handeln nicht. Nur so ist sie fähig, diesen Gewaltakt gegen sich selbst überhaupt durchzuziehen.

Donnerstag, 27.5.

Heute haben wir einen ersten Durchlauf aller Szenen (mit Ausnahme der Szene 4b und 7) gemacht. Man könnte meinen, ich hätte es unglaublich eilig mit den Proben zu beginnen: Ich habe es nun geschafft, zum zweiten Mal zu früh zur Probe zu erscheinen – diesmal nur 30 Minuten. Immerhin: Besser zu früh als zu spät.

Charlotte Watzlawik mit Babybauch auf der Bühne.
Charlotte Watzlawik mit Babybauch auf der Bühne.

© Daniel Nartschick

Bei der Abendprobe durften wir zu fünft auf dem Mittelteil der vorderen Bühne in die Unterbühne herunterfahren. Isabel plant, Wendla so verschwinden und eine Szene später Moritz auftauchen zu lassen. (Wendla stirbt und Moritz taucht als Geist wieder auf.) Bin mal gespannt, wie das so funktioniert.

Montag, 31.5.

Heute haben Isabel und ich einige Dinge nochmal durchdacht und die Szene 2 endlich noch einmal genauer besprochen. Damit sind nun alle Szenen vom Ablauf geklärt. Ärgerlich war, dass um Punkt 14 Uhr die Sanierungsarbeiten, die momentan um den Theatersaal herumlaufen, wieder aufgenommen wurden.

Es war ja so abgesprochen, dass in unseren Pausen Lärm gemacht werden darf. Pünktlich wie die Maurer haben sich die Handwerker an diese Uhrzeit gehalten, so dass unsere Probe keine Minute länger dauern konnte, und wir sozusagen mitten im Satz enden mussten.

Mir war es recht, ich hatte schon großen Hunger – nur leider waren die Mittagsgerichte in der Kantine schon ausverkauft. Also zum Zoo und Asia-Nudeln geholt. Das habe ich schon ewig nicht mehr gegessen!

Freitag, 4.6.

Die Probe für morgen wurde abgesagt, und somit habe ich ein sehr langes Wochenende. Ich wünschte, ich hätte das früher gewusst, dann hätte ich einen Ausflug geplant.

Donnerstag, 10.6.

Über eine Woche habe ich nicht mehr geprobt. Das war beim heutigen Durchlauf deutlich zu merken. Ich brauchte bis zur 4. Szene, um mich hineinzufinden. Dann lief es aber sehr gut. Wir haben Wendlas Verschwinden mitgeprobt und auch das klappte ganz gut.

Donnerstag, 17.6., Erster Durchlauf mit Licht

Eigentlich war ich wegen eines Arzttermins beurlaubt, weil ich nicht wusste, wie lange er dauern wird. Nun war ich nach einer Stunde fertig und konnte spontan doch zu dem ersten Lichtdurchlauf kommen.

Marie musste so gar nicht für mich einspringen, obwohl sie es sicher gerne getan hätte. Aber nach kurzer Überlegung einigten wir uns darauf, dass wir beide kommen und ich aktiv probe.

Vielleicht lief der Durchlauf für mich persönlich so gut, weil ich mich gar nicht auf die Probe eingestellt hatte. Oder das Licht hat seinen wohlbekannten Zauber getan. Jedenfalls fühlte ich mich in meiner Intensität sehr gut eingependelt. Nicht so stark, dass es nicht noch zur Premiere getoppt werden kann und nicht so wenig, dass man mehrere Szenen braucht, um in die Rolle zu kommen.

Nun stehen noch zwei sehr spannende Proben-Premieren an: Heute Abend die Klavierhauptprobe, in der wir zum ersten Mal in Maske und Originalkostümen spielen werden. Und am Montag die Orchestersitzprobe, bei der wir zum ersten Mal mit Orchester proben. Ich bin gespannt!

Samstag, 19.6., Tag der Klavierhauptprobe

Wow! Die Klavierhauptprobe lief wirklich unerwartet gut. Ich habe mal wieder gemerkt, was für einen großen Unterschied ein Kostüm macht. Man wird sofort zur Person der Rolle, man muss so viel weniger in die Schauspielarbeit investieren, nur weil man die passende Kleidung trägt. Ich zog also das Kostüm an und war sofort ein 14-jähriges Mädchen in einer anderen Zeit. Kleider machen Leute, das wurde gestern mal wieder bestätigt.

Und auch bestätigt wurde: wie lange wir solche Momente nun nicht mehr hatten. Wie uns das alles gefehlt hat! Und so waren wir alle aufgedreht als es in die Maske ging. Und die Energie war wirklich auf Hochtouren, die ganze Probe hindurch!

Thorsten meinte zu mir, dass man mehr Ausdruck gar nicht mehr machen kann. Das hat mich natürlich sehr gefreut, wobei ich auch merkte, dass ich zugunsten des Ausdrucks etwas zu viel Druck auf die Stimme ausübte.

So aufgeladen wie ich war, war das auch nachvollziehbar. Nur sollte es im Ernstfall mit derselben Energie aber ohne Kraft auf der Stimme funktionieren. Aber genau dafür gibt es ja auch diese Proben. Nun bin ich jedenfalls ziemlich zuversichtlich was unser Projekt betrifft.

Montag, 21.6., Tag der Orchestersitzprobe

Wir sind heute Abend nicht durch alle Szenen gekommen, aber dafür haben wir alles zumindest teilweise zweimal gemacht, so dass jede Besetzung jede Szene einmal singen durfte.

Wegen der Pandemieauflagen dürfen die Musikerinnen und Musiker nicht im Orchestergraben sitzen. Deswegen wurde das gesamte Orchester einfach auf die Bühne verfrachtet und sitzt nun hinter den Sängerinnen und Sängern. Den Dirigenten sehen wir über den Bildschirm.

Wir waren alle vom Orchesterklang geplättet! Auf gute und gewöhnungsbedürftige Weise: Gut, weil es einfach wahnsinnig toll ist, ein Orchester zu hören. Ich wiederhole mich, aber auch hier: nach so langer Zeit endlich wieder LIVE! Und auch gut, weil man sich freut, das Stück, das man nun doch recht gut kennt, endlich in der Originalbesetzung zu hören.

Kann passieren: zugunsten des Ausdrucks zu viel Druck auf der Stimme.
Kann passieren: zugunsten des Ausdrucks zu viel Druck auf der Stimme.

© Daniel Nartschick

Aus demselben Grund aber auch gewöhnungsbedürftig, weil der Klang auf einmal sehr viel einnehmender ist. Das Klavier konnten wir hinter uns ja manchmal eher sehr schlecht hören, wir bekamen sogar Verstärkung an die Bühnenkante gestellt.

Nun hatten wir Sorge, dass man uns überhaupt nicht hören kann. Es ist definitiv eine Umstellung mit so viel Klang im Rücken zu singen. Aber Errico Fresis meinte auch, dass das Orchester sich nach und nach noch zurücknehmen kann, und dass wir im Stream, der ja für alle externen Zuschauer bereitgestellt werden wird, sowieso extra gepegelt werden. Und auch auf der Aufnahme, die ich probeweise gemacht habe, sind wir zu hören. Also kein Grund zur Sorge.

Mittwoch, 23.6., Tag der ersten Bühnenorchesterprobe

Es stand die erste Bühnenorchesterprobe an und ich bin (mit einigen anderen) natürlich prompt zu spät gekommen. Die ganze Probenphase hindurch war ich immer pünktlich, und jetzt, wo es wirklich nochmal ein bisschen wichtiger ist, da wir durch alle Szenen kommen müssen, und das ganze Orchester daran hängt, passiert so etwas! Aber vielleicht gehören solche Patzer auf eine Art zu dem ganzen Trubel dazu. Auch wenn leider nicht alle Szenen drankamen, konnten wir gut arbeiten.

Donnerstag, 24.6.

Ich bin nur mit Isabel zusammen die Wendla-Szenen noch einmal durchgegangen, gerade auch um uns an das Tempo des Orchesters zu gewöhnen. Und wir haben uns dazu entschlossen, Szene 6 einmal mit Kunstblut auszuprobieren.

Freitag, 25.6., Tag der zweiten und letzten Bühnenorchesterprobe

Alles, was wir geprobt haben, hat sehr gut funktioniert, nur sind wir wieder nicht ganz durchgekommen! Sprich, es gibt immer noch Szenen, die manche noch nie mit Orchester gesungen und/oder gespielt haben. Und das sorgt natürlich für gemischte Gefühle bei allen Betroffenen. Wir sind uns alle einig, dass lediglich zwei Bühnenorchesterproben einfach zu wenig sind! Wir hoffen sehr, dass wir die noch nicht geprobten Szenen vor der Generalprobe einmal durchgehen können. Das sollte mindestens drin sein.

Montag, 28.6.

Die Probe von heute wurde auf Mittwoch verschoben, das Kunstblut ist noch nicht angekommen …

Mittwoch, 30.6.

Zum ersten Mal in meinem Leben durfte ich mit Kunstblutkapseln arbeiten. Eigentlich ist die Sache ja nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir sehen das Schicksal der Figur Wendla und den Ernst der Lage, was solche Abtreibungen betrifft, selbstverständlich sehr deutlich. Dennoch ist es ein Heidenspaß mit Kunstblut zu experimentieren. Warum weiß ich gar nicht so genau.

Und: Es ist gar nicht so leicht, wie man denkt. Die Kapseln müssen wirklich ordentlichem Druck ausgesetzt werden, damit sie platzen. Wie das funktioniert, während wir tot spielen sollen, haben wir lange überlegt. Letztendlich haben wir uns dazu entschieden, die Kapseln an die Beininnenseite zu kleben. Ausprobieren konnten wir das nicht – wir müssen die restlichen Kapseln sparen für die Generalprobe und die Aufführung. Es bleibt also spannend.

Freitag, 2.7., Tag der Generalprobe

Ich möchte nicht viel zu heute Abend schreiben, außer, dass das Projekt, das uns nun alle so lange begleitet hat, fast zu Ende ist. Melancholisch bin ich bisher noch nicht. Dafür war ich gestern beim Zuschauen der Generalprobe der A-Besetzung schon ziemlich gerührt und danach dementsprechend melancholisch. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen.

Ziel von uns Darstellerinnen und Darstellern ist es ja, die Emotionen weniger selbst zu empfinden, als sie direkt beim Publikum auszulösen. Ich hoffe nur, dass ich Letzteres auch hinbekommen werde. Die Kritik, die ich nach der Probe von Isabel noch mit auf den Weg bekommen habe, hörte sich zumindest vielversprechend an.

Charlotte Watzlawik

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