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Aeneas-Carlo Dörschmann-Sander

© privat

Nachruf auf Aeneas-Carlo Dörschmann-Sander: Noch so eine Geschichte

Jahrelang auf schmalem Fuß? Er lebte doch jetzt und nicht irgendwann, viel später! Und jetzt ging’s erstmal um den Ruhm.

Von David Ensikat

Ole, das war wohl sein engster Freund, der, der ihn am längsten kannte, Ole erinnert sich, wie er mal aus Amerika wiederkam, von einer großen Reise, und Carlo schrieb ihm gleich: Wir müssen telefonieren, dann musst du mir alles erzählen! Dann telefonierten sie, die ersten paar Minuten erzählte Ole ein bisschen was von Amerika, und Carlo übernahm, um nach zwei Stunden, als sie auflegen mussten, festzustellen: Du hast ja nu’ janüscht erzählt von Amerika.

Anja, die mit Carlo die letzten zehn Jahre zusammen war, wurde immer mal gefragt, wie sie es eigentlich aushält mit diesem Dauerplauderer. Einen Abend lang ist das ja super lustig, aber immerzu? Och, sagte sie dann, wenn’s mir zu viel wird, steck ich ihm einen Keks in den Mund, dann weiß er Bescheid. Das hat er ihr auch nie übel genommen, im Gegenteil, das wurde gleich eine seiner Geschichten: Stell Dir mal vor, da steckt die mir einfach so ’n Keks in den Mund.

Eine andere Geschichte war die von den zwei Staubsaugern, die er auf einmal verkauft hat. Er war damals unterwegs und hat diese Kirby-Geräte vorgeführt, schwere Dinger, die auch den letzten Fussel wegsaugen, teuer natürlich. Irgendwo in Zehlendorf war das, der alte Hausherr, ein ehemaliger General, wollte erst mal klären, ob er diesem südländisch wirkenden Mann trauen kann, dunkler Teint, eher gedrungene Gestalt, Silberringe, dicke Uhr, Kette um den Hals. Also die entscheidende Frage gleich am Anfang: Haben sie überhaupt gedient?

Besser zwei Staubsauger

Endlich mal hatte Carlo was davon, dass er so blöd gewesen war, sich für drei Jahre bei der NVA zu verpflichten. Sie hatten ihm damals eingeredet, dass er nur so an die Berufsausbildung mit Abitur käme. Er war bei den Panzerfahrern und musste im Oktober 1989, als die Leute auf die Straßen gingen, antreten zum Waffenempfang mit richtiger Munition, ist dann Gott sei Dank doch nicht zum Einsatz ausgerückt, sondern wurde, als kurz darauf die Mauer auf und die Regierung eine andere war, vorzeitig entlassen. Dem General hat er von den Panzern erzählt, vielleicht auch von dem Blut, das er wegwischen musste, als sich ein Vorgesetzter in so einem Ding den Schädel weggeblasen hatte, und selbstverständlich machte er einen blendenden Eindruck bei dem General, sodass der seiner Frau klarmachte, dass diesem Mann zu trauen war, sodass die seinem Vorschlag folgte, besser zwei Staubsauger zu kaufen, einen für oben und einen für unten, weil man halt Saugleistung mit Gewicht erkaufe und es nicht angeraten sei, so ein Ding andauernd die Treppen hoch- und runterzuschleppen.

Stundenlang konnte Carlo seine Geschichten erzählen, von seinem Job, von den vielen Reisen, von der Band, in der er den Bass spielte. Das tat er mit so deutlich berlinischem Akzent, dass die Frage nach seiner Herkunft gar nicht zur Debatte stand. Zumal ohnehin kaum jemand seinen ersten Vornamen, Aeneas, kannte. Den trug er, weil sein Vater aus Griechenland kam, doch der war längst verschwunden, als Carlo in ein erinnerungsfähiges Alter gelangte. Von seinem Ziehvater hat er dafür gern gesprochen, und der entsprach kein bisschen den Assoziationen, die man mit Carlos südländischem Äußeren verband. Er war sehr viel älter als die Mutter, hatte am Berliner Olympiastadion mitgebaut und ein paar steile Wände der Sächsischen Schweiz als Erster bestiegen (noch so eine Geschichte: wie Carlo in Brixen, Südtirol, auf den Spuren von Reinhold Messner unterwegs ist und ihn dort zufällig trifft, eine halbe Stunde mit ihm quatscht, und wie der dann sagt, dass er dieses Bergsteigerbuch von Carlos Vater kennt).

Carlo mit seinem Einsaitenbass

© privat

Carlo hatte so ein T-Shirt, auf dem stand: Pain is temporary, glory is forever. Schmerz vergeht, Ruhm bleibt. Es bringt ja nichts, sich lange mit dem Mist aufzuhalten, der so passiert, die Pleite mit seinem Staubsauger-Vertrieb, nachdem man keine Kunden mehr übers Telefon werben durfte, die Scheidung und sein Auszug aus dem Haus in Königs Wusterhausen. Er hätte natürlich in die Privatinsolvenz gehen können, aber dafür hätte er jahrelang auf sehr schmalem Fuß leben müssen, damit es danach wieder aufwärtsgehen würde. Er lebte doch aber jetzt und nicht danach!

Für den Ruhm erzählte er seine Geschichten und spielte auf seinem selbst gebauten Einsaiten-Bass den Blues, Sundown Ferry heißt die Band. Er lud Videos von seinen Reisen und von den Auftritten bei Youtube hoch. Und als der Schmerz kam, logisch kam er, Tausende Kilometer jede Woche im Auto unterwegs, um Geräte zu verkaufen, nie Sport, immer Zigaretten, als der Schmerz also kam und er hätte wissen können, dass es das Herz war, da dachte er sich, dass er vergeht, der Schmerz. Und er verging auch, für ein paar Tage. Dann kam er wieder, und es war zu spät.

In der Kneipe, die Ole, seinem Freund, gehört, gab es die Trauerfeier, und selten war das Wort so richtig, Trauerfeier. Blues, stundenlang und live, lachen und weinen, so wie es Carlo gefallen hätte, diesem Ostberliner Südländer.

Als in diesem Jahr die Angst vorm Atomkrieg aufkam, hat er noch mit Ole übers Ende gesprochen, wie es wäre, wenn es jetzt käme. Scheiße wär’s, klar, vor allem für die Jüngeren. Auch für ihn selbst natürlich, meinte Carlo, denn das Leben sei doch schön, und man könne noch so viel mehr erleben. Andererseits sei er jetzt schon ganz zufrieden. Genug erlebt, um eine ganz Weile davon erzählen zu können, hatte er allemal.

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