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In Connewitz hat ein linksalternativer Lebensstil Tradition. Das Misstrauen gegen die Polizei auch.

© picture alliance / dpa

Nach Krawallen in der Silvesternacht: Wie Connewitz benutzt wird

Das Viertel ist Symbol geworden für die Konfrontation zwischen Linken und Polizei – nicht nur die Politik nutzt das für eigene Zwecke.

Stefan Muth steht unter einem orange-weißen CDU-Sonnenschirm in Connewitz und macht sich Sorgen. „Wir kriegen Besuch“, sagt er und blickt zu einer Gruppe junger Männer auf der anderen Straßenseite. Seit einer halben Stunde steht Muth mit drei Parteikollegen an dem Wahlkampfstand mitten am Connewitzer Kreuz. Hinter ihnen brausen Autos aus vier Richtungen vorbei, Straßenbahnen bimmeln, auf den Fußwegen sind viele Menschen unterwegs. Das Connewitzer Kreuz ist ein Verkehrsknotenpunkt im Leipziger Süden, rundherum Cafés, Imbisse, eine Kulturfabrik. Oberhalb der Kreuzung liegen die Südvorstadt und die Innenstadt, unterhalb beginnt der linksalternative Stadtteil Connewitz.

„Nee, den Scheiß brauche ich nicht“, ist einer der netteren Sprüche, die Muth und seine Mitstreiter zu hören bekommen, wenn sie hier ihre Flyer verteilen. Muth erzählt, einer der schwarz gekleideten Männer, die nun an der Ampel gegenüber warten, habe sie vorhin als Nazi beschimpft und vor ihnen auf den Boden gespuckt. Die CDUler würden ihn aus seinem Viertel vertreiben, habe er gesagt. „Jetzt hat er sich Verstärkung geholt“, sagt Muth. Die Ampel springt auf grün. Die jungen Männer kommen herüber und schlendern am Wahlkampfstand vorbei. Kein Wort, kein Blick – Fehlalarm.

Es ist die kleine Version des Konflikts, der im Großen vor gut zwei Wochen auf der Straßenkreuzung eskalierte. Silvester strömten etwa tausend Menschen her, um zu feiern. Die Polizei bezog rundherum Stellung – in den letzten Jahren war es immer wieder zu Scharmützeln gekommen. Dieses Mal artete die Nacht aus: Ein brennender Einkaufswagen wurde auf die Straße geschoben, Böller flogen in die aufgereihten Beamten, Polizisten und Vermummte gingen aufeinander los.

In der Neujahrsnacht kam es am Connewitzer Kreuz zu Zusammenstößen zwischen Linksautonomen und der Polizei.
In der Neujahrsnacht kam es am Connewitzer Kreuz zu Zusammenstößen zwischen Linksautonomen und der Polizei.

© Sebastian Willnow/zb/dpa

Unsaubere Informationen

Im Internet begann sogleich der Kampf um die Deutungshoheit: Ein Polizist wurde so schwer verletzt, dass er notoperiert wurden musste, twitterte die Polizei. Die Linken-Politikerin Juliane Nagel sah „ekelhafte Polizeigewalt“ und „kalkulierte Provokation“ – Nagel gilt als Sprachrohr der Linken vor Ort. Die Polizei musste später nach einer „taz“-Recherche zugeben, dass der Kollege nicht notoperiert werden musste. Und Nagel sagte, sie würde den Tweet so nicht noch mal formulieren.

Doch da hatte sich die Bundespolitik längst eingemischt. Wieder gab es zwei Lager: Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach von „Linksextremisten“. SPD-Chefin Saskia Esken forderte eine Überprüfung des Polizeieinsatzes. Der Diskurs über die Gewalt in Connewitz lässt sich seither über Bundes- und Landespolitik bis auf die Straße verfolgen, wo der Wahlkampf für die Oberbürgermeisterwahl am 2. Februar stattfindet. Für Konservative ist das Viertel ein Hort von Autonomen, für Linke steht es für Provokationen durch Polizeipräsenz.

CDU-Mann Stefan Muth und seine Parteifreunde kommen mit den Passanten kaum in einen Dialog. Einer der Wahlkämpfer dreht sich nach einem gescheiterten Gespräch genervt um, eine junge Frau ruft ihm hinterher: „Jetzt erzählt er bestimmt, dass wir Krawallos sind!“ Als ein Krankenwagen vorbeischießt, raunt einer am CDU-Stand: „Der soll nicht so weit wegfahren, den brauchen wir hier noch.“

Die Connewitzer stört vor allem das mediale Bild, das nach Ausschreitungen wie zu Silvester entsteht. „Man bekommt den Eindruck, dass wir hier mit schusssicheren Westen sitzen müssen“, sagt Thomas Noack. Er lebt seit 1992 im Viertel. In blauer Outdoorjacke schiebt er sein Fahrrad durch die Pfützen vor der Paul-Gerhardt-Kirche, rund 100 Meter vom Kreuz entfernt. Im Mai findet hier das jährliche Straßenfest statt, 150 Stände, viele Freiwilligen-Initiativen, 10.000 Besucher. „Es ist ein friedliches Miteinander, total unkompliziert“, sagt Noack. Er selbst engagiert sich in der Kirchengemeinde und hat in den 00er-Jahren ein verfallenes Kino mit anderen Ehrenamtlichen zu einer Kulturstätte umgebaut. „Dieses Engagement, das ist typisch für Connewitz.“

Nimmt eine Minderheit eine Mehrheit in Zwangshaft?

Er führt weiter durchs Viertel, vorbei an einem veganen Bistro, kleinen Läden, gesprühten Slogans an Hausfassaden: „Die Bullen entführen wieder Leute ausm Viertel!“ Im Erdgeschoss einer Einkaufspassage befindet sich eine Polizeistation – laut Noack ein „Feindbild“ für einige Menschen. Die Scheiben der Wache wurden mehrfach mit Farbbeuteln oder Steinen beworfen. 2015 versuchten 50 Angreifer, die Wache zu stürmen. Es sind auch solche Attacken, die Connewitz als Ort der Randale stigmatisiert haben. Thomas Noack ärgert das. „Eine Minderheit nimmt eine Mehrheit in Zwangshaft.“

Auf der einen Seite ist Connewitz das bunte Dorf mit Kneipen und Clubs, auf der anderen das als linksextremistisch verschriene Widerstandsnest. Zahlen belegen: In keinem Stadtteil ist das freiwillige Engagement so groß wie in Connewitz. Bei der Zahl der Straftaten je Einwohner liegt das Viertel im Stadtdurchschnitt.

In Verruf gerät der Stadtteil auch wegen Straftaten, die sich gar nicht in Connewitz ereignen. Im Oktober stehen drei Baukräne in der Nähe des Zentrums in Flammen, sie drohen auf Wohnhäuser zu stürzen. Die Polizei geht von Brandstiftung und einer politisch motivierten Tat aus. Einen Monat später schlagen Unbekannte der Prokuristin einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung im Leipziger Norden ins Gesicht. Ihr Arbeitgeber verantwortet ein Neubauprojekt in Connewitz; laut Polizei verlassen die Täter die Wohnung mit den Worten: „Schöne Grüße aus Connewitz“.

Aufgrund dieser Vorfälle und weiterer Brandanschläge ermittelt seit Dezember eine Sonderkommission gegen Linksextremismus (Soko LinX). Der sächsische Verfassungsschutz rechnet mehr als die Hälfte der landesweit 425 beobachteten Linksautonomen der Leipziger Szene zu. Mitbegründer der Soko ist Sachsens damaliger Justizminister Sebastian Gemkow, der nun Wissenschaftsminister ist und in Leipzig als Oberbürgermeisterkandidat der CDU antritt.

Sebastian Gemkow will für die CDU Bürgermeister von Leipzig werden. Im Wahlkampf sind die Krawalle der Silvesternacht ein wichtiges Thema.
Sebastian Gemkow will für die CDU Bürgermeister von Leipzig werden. Im Wahlkampf sind die Krawalle der Silvesternacht ein wichtiges Thema.

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Mehr Hipster als Hardliner

Gemkow, 41, ist wenige Tage nach Silvester auf Wahlplakaten neben einer Polizistin zu sehen, „Sicherheit für Leipzig!“, lautet der Slogan dazu. In einem Sicherheitskonzept stellt er unter anderem eine Aufstockung der Leipziger Polizei in Aussicht. „Keine rechtsfreien Räume“, „Recht umfassend durchsetzen“, „Straftäter konsequent verfolgen“, so lauten einige der Überschriften des Papiers. Dabei gilt Gemkow in Leipzig als eher liberal. Abgesehen vom Polizeiplakat, auf dem er in Anzug und mit entschlossener Geste für Sicherheit wirbt, wirkt er auf den anderen Motiven eher wie ein Hipster mit ersten grauen Härchen im Vollbart. An Wahlkampfständen wie dem am Connewitzer Kreuz verteilen seine Helfer Handwärmer, auf denen sein Konterfei aus Bart, Haupthaar und Hornbrille gedruckt ist. Zum Gespräch in einem italienischen Restaurant nimmt er die Brille ab. Im Moment jagt ein Termin den nächsten, vor manchen Antworten schließt er die Augen, um sich zu konzentrieren. Zwischendurch ruft seine Frau an und fragt, wann er nach Hause kommt.

Seine Sicherheitsvorschläge will Gemkow nicht als Reaktion auf Connewitz verstanden wissen. Aber: „Der Schwerpunkt in der Auseinandersetzung linksextremistischer Täter mit dem Rechtstaat und seinen Institutionen ist offenkundig vor allem in diesem Teil der Stadt zu suchen.“ Ihm sei wichtig, dass Recht und Gesetz zur Geltung kommen. „Wenn ich sehe, dass Straßenschilder so zugeklebt sind, dass man sie kaum noch lesen kann, habe ich das Gefühl, dass in anderen Stadtteilen jemand vom Amt vermutlich schneller da wäre.“ Es gehe nicht darum, bloß auf mehr Polizei zu setzen. „Es geht darum, einen ganz normalen Zustand herbeizuführen, der in allen Teilen dieser Stadt und dieses Landes zu gelten hat“, sagt Gemkow. „Über die Rechtsvorschriften, nach denen wir zusammenleben, entscheiden Menschen in Parlamenten nach demokratischen Wahlen. Und niemand anders.“

Während CDU und AfD nach Recht und Ordnung rufen, fordern linke Kandidaten Kommunikation. Katharina Krefft von den Grünen schlägt ein Quartiersmanagement vor. Die OB-Kandidatin der Linken, Franziska Riekewald, will einen runden Tisch von Polizei, Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft. Ähnliches ist von Amtsinhaber Jung zu hören.

Der Bürgermeister spricht von Terror

Burkhard Jung, 61, führt die Stadt seit fast 14 Jahren. Unter seiner Ägide hat sich Leipzig zur Boomtown entwickelt. Bis kurz vor dem Jahreswechsel hat der SPD-Politiker selbst in Connewitz gelebt. Die Einjährige brauche nun ihr eigenes Zimmer, sagt er am Telefon fast entschuldigend. In den vergangenen Monaten hat auch er seine Rhetorik verschärft: Der Überfall auf die Immobilienprokuristin erinnert ihn an die terroristischen Anfänge der RAF, das Anzünden der Baukräne bezeichnet er als Terroranschlag. Was bei ihm besonders markant klingt, weil der Westfale das „r“ rollen lässt.

„Mich ärgert sehr, dass da plötzlich ein ganzer Stadtteil bundesweit als erweiterte, zehnfach große Hafenstraße, als rechtsfreier Raum etikettiert wird“, sagt Jung. Es gebe in Connewitz friedliche alternative Lebensentwürfe. Die Anschläge, der Überfall auf die Immobilienmitarbeiterin – „das hat erst mal gar nichts mit Connewitz zu tun.“ Kommen die Täter gar nicht aus Connewitz? Brüsten sie sich damit nur? Weil es für etwas steht? Für Unerschrockenheit? Jung fordert angesichts der Silvester-Ausschreitungen eine Debatte über Gewalt in der Stadt. „Das ist die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit der Gewalt?“ Von den Bewohnern in Connewitz erwartet er in dieser Frage eine Distanzierung.

„Warum sollte ich mich von etwas distanzieren, für das ich keine Verantwortung trage, an dem ich nicht beteiligt war?“, sagt Ana Meyer, die sich bei „Prisma“ engagiert – eine sich selbst als linksradikal bezeichnende Gruppe von 60 Mitgliedern in Leipzig. Das macht sie längst noch nicht zu Extremisten oder Straftätern. Sie initiieren Aktionen zu Themen wie Wohnpolitik, Antifaschismus, Feminismus. Zum Treffen in einem Café bringt Meyer, 34, ihren „Prisma“-Kollegen Fritz Bach mit. Die beiden teilen sich eine Kanne Ingwertee. Gewalt lehnen sie nach eigener Aussage ab. Andererseits, sagen sie, würde nach den Vorfällen stärker über Gentrifizierung gesprochen – überall im Viertel entstehen Neubauten, die Mietpreise ziehen an.

An den Wänden des Viertels ist abzulesen, wie angespannt die Situation ist.
An den Wänden des Viertels ist abzulesen, wie angespannt die Situation ist.

© Maximilian König

„Gegen die 90er ist das Kinderkacke“

„Die Gewalttaten zeugen von den mangelnden Handlungsmöglichkeiten, um gegen die Mietentwicklungen vorzugehen“, sagt Meyer. Und zum Ruf nach einer Gewaltdistanzierung sagt Bach: „Die Forderung wirkt absurd, wenn gleichzeitig von Seiten der Polizei keine Fehlereingeständnisse und kritische Reflexion kommen.“

Polizei und Politik wird im Viertel vorgeworfen, gezielt gegen die linke Szene mobilzumachen. Als Beweise werden dann die Silvesternacht und der in zahlreichen Videos dokumentierte rabiate Einsatz von Polizisten angeführt. „Hätte es nicht lokale Politikerinnen wie Juliane Nagel oder Journalisten gegeben, die die Videos ausgewertet haben, wäre die Polizei mit ihrer Erzählung durchgekommen“, sagt Fritz Bach.

Bei älteren Connewitzern ist das Verhältnis zur Polizei noch geprägt von den 90er-Jahren, als viele junge Anhänger von Subkulturen vom Land nach Connewitz zogen. In den unsanierten Häusern mussten sie sich gegen Überfälle von Neonazis wehren, von der Polizei fühlten sie sich kaum unterstützt. Die Zusammenstöße am Kreuz bezeichnet einer, der dabei war, im Vergleich als „Kinderkacke“.

Ermittlungserfolge in Connewitz hat die Soko LinX noch nicht vorzuweisen. Die meisten Bewohner vermuten die Täter im gesamten Stadtgebiet oder außerhalb.

Auch deshalb empfinden viele Connewitzer die Präsenz der Polizei im Stadtteil als übertrieben. Der Polizeihubschrauber kreist so häufig über dem Viertel, dass sich einige Eltern für ihre Kinder Geschichten von Thomas, dem Polizeihubschrauber ausgedacht haben.

Die Polizei ist in Connewitz für einige schon lange ein Feindbild.
Die Polizei ist in Connewitz für einige schon lange ein Feindbild.

© Maximilian König

Nicht erst seit Silvester wird der Leipziger Polizei vorgeworfen, nicht neutral zu agieren. Im Fokus steht dabei Polizeisprecher Andreas Loepki. Loepki war es, der in den Tagen nach Silvester einräumte, dass es bei dem verletzten Polizisten „keine Not-Operation im engeren Sinne“ gegeben habe, wie er zunächst per Twitter mitgeteilt hatte. Loepki schaltete sich auch über den Twitter-Account @andreas0310 mit dem Pseudonym „ALoe“ in die Diskussion um die Krawalle ein. Für Außenstehende ist jedoch nicht erkennbar, ob Loepki über das Twitter-Profil seine private oder sein dienstliche Meinung wiedergibt. Auf Nachfrage bestätigt Loepki die Echtheit des Accounts. Er habe den Kanal als „Zusatzangebot“ gesehen – das allerdings „eher kritisch als positiv“ angenommen worden sei.

Die nächste Konfrontation droht

Connewitz also. Für manche ein Mythos. Von vielem etwas. Für manche nichts. Viel Geraune von außen, viel Normalität, Engagement und Achtgeben innen. Und gelegentlich Ärger, der dafür umso heftiger. So heftig, dass

Menschen verletzt werden.

In einer Woche könnte es zur nächsten Konfrontation kommen. Linke Gruppen haben am 25. Januar zu einer Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVG) aufgerufen. Grund ist die 2017 verbotene Szene-Plattform linksunten.indymedia. Voraussichtlich Ende Januar wird das BVG über Klagen gegen das Verbot entscheiden. An Connewitzer Häuserwänden steht bereits die Parole: „25.1. – alle auf die Straße!“ Rund eine Woche nach dem Termin findet die Bürgermeisterwahl statt. Die Leipziger werden auch unter dem Eindruck der Demo entscheiden, wem sie ihre Stimme geben.

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