zum Hauptinhalt
279603_0_a93e5bb3.jpg

© Wolff

Trend: Die Modemutigen vom Prenzlauer Berg

Getrennt entwerfen, gemeinsam verkaufen: In Prenzlauer Berg wagen Designerinnen den Schritt in die Selbstständigkeit Sie eröffnen ihr eigenes Geschäft – allein oder im Verbund mit Kolleginnen. Der Szenekiez bietet dafür das richtige Umfeld

Ein Bezirk zieht an – im doppelten Wortsinn. „Mitte ist tot, da findet man Label an Label. Modedesigner kommen mittlerweile nach Prenzlauer Berg“, sagt Anna Tembrink. Dort hat die 34-Jährige sich mit zwei befreundeten Designerinnen zusammengetan. Die drei verkaufen eigene Kollektionen im eigenen Laden. Ein Netzwerk, das Sicherheit gibt und das Risiko der Selbstständigkeit verringert. Ein Modell, das im Szenekiez funktioniert – trotz nicht eben niedriger Mieten.

Ein Trend, den Tanja Mühlhans, Referentin für Kreativwirtschaft der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, bestätigt. Zwar sei Mitte laut einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) mit 28 Prozent immer noch der beliebteste Bezirk, um sich selbstständig zu machen. „Doch wegen steigender Gewerbemieten weichen viele in die Seitenstraßen und über die Torstraße hinaus nach Prenzlauer Berg aus.“ Auch Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln profitierten vom Expansionsdrang mutiger Modemacher.

Tembrink und ihre Kolleginnen Raja Tanczik und Lisa Kaltwasser sind mit ihrem Laden „Charivari“ in Prenzlauer Berg ein Musterbeispiel. „Die Jobmöglichkeiten in der Branche sind begrenzt. Da machen sich viele Designer nach dem Studium selbstständig und gründen Modelabels, viele mit angeschlossenen Shops“, sagt Tanja Mühlhans. So funktioniert auch „Charivari“ in der Rykestraße: Seit drei Jahren verkaufen sie Eigenkollektionen. Tembrink kam mit ihrer Strickmode im Oktober 2007 dazu. Im hinteren Teil des Ladens liegt die Werkstatt, in der die Frauen ihre Stücke entwerfen. Anna Tembrink lässt ihre Sachen in Berlin produzieren, denn Strick ist aufwändig, verlangt Qualität. Tanczik und Kaltwasser nähen alles selbst. Wer will, kann sich den Prototyp in passender Größe fertigen lassen. Mode für Individualisten, weg von der Massenware – ein Konzept, das sich im ganzen Kiez wiederfindet. Für Lisa Kaltwasser ist der eigene Laden optimal. „Es war nie beschwerlich, noch nicht mal am Anfang“, sagt sie.

Die Designerinnen haben in Prenzlauer Berg die passende Umgebung. Hier leben die jungen Zugezogenen, schicke Mütter schieben trendige Kinderwagen und die Touristen kommen zum Shoppen ins Viertel. „Die Leute suchen hochwertige Sachen und sind bereit, etwas mehr auszugeben“, sagt Anna Tembrink. Auch Axel Hansen, Leiter der Wirtschaftsförderung Pankow, sieht den „ungebrochenen Trend“, dass sich Kreative und junge gebildete Leute mit entsprechender Kaufkraft um den Helmholtzplatz ansiedeln – wie früher im Kollwitzkiez. Bei der Kaufkraft liege der Bezirk stadtweit an dritter Stelle. Die Mieten allerdings seien nicht mehr so günstig, wie die Senatsverwaltung für Wirtschaft annimmt: „Die Zeit der Schnäppchenmieten ist vorbei, da haben wir uns Mitte angenähert“, sagt Hansen. Stattdessen würden die Kreativen oft „im stillen Kämmerlein basteln“, bis sie sich ein Geschäft leisten könnten.

Genauso lief es bei Anne Wolf, Designerin für Braut- und Abendkleider und -mäntel: Die 29-Jährige eröffnete ihren Laden in der Lychener Straße nahe dem Helmholtzplatz vor drei Jahren, nachdem sie sich einen festen Kundenstamm von zu Hause aus erarbeitet hatte. „Hier wird geheiratet, hier laufen viele Kinder rum, die Struktur passt am besten zu meinem Geschäft“, sagt sie. Sie hat eine Lücke gefunden im Designer-Allerlei. „Mit T-Shirts hätte ich mich nicht selbstständig machen müssen.“ Erst vorigen Sommer hat sie sich vergrößert, ist umgezogen innerhalb der Straße. „Der Laden hat sich sehr schnell etabliert“, sagt Anne Wolf. Ihre Kunden müssen nicht aufs Geld schauen und entscheiden sich gern für ein Brautkleid nach Maß. Für 800 bis 2000 Euro erhält die Braut ein Unikat, made in Berlin.

Auf einen Kredit hat Anne Wolf verzichtet: „Ich wollte keine Schulden haben, falls es doch nicht klappen sollte.“ Also ging sie strategisch vor. „Ich habe am Businessplan-Wettbewerb der Stadt teilgenommen. Da war ich gezwungen, die Kosten genau durchzurechnen.“ Gratis-Seminare und Coaches gehörten zum Programm. Wichtig war außerdem die Frage, wo sie sich mit ihrem Geschäft positionieren sollte. Nun sucht sie auch eine Wohnung in Prenzlauer Berg.

Sich selbstständig zu machen und die Kollektion im eigenen Geschäft zu präsentieren, ist ein Ziel vieler Designer. Die Modemacher kennen sich, empfehlen den einen oder anderen oder schließen sich gleich zusammen. Ihr Erfolg nährt den Ruf Berlins als Modestadt. Netzwerke erweisen sich als hilfreich, sind laut Axel Hansen von der Wirtschaftsförderung „aber leider noch sehr rar“. Hansen und sein Team informieren über bestehende Netzwerke wie „Create Berlin“ – eine Initiative von Berliner Designern, die auch Messestände im Ausland organisiert. Außerdem berät die Wirtschaftsförderung bei Schwierigkeiten mit Verwaltungen und organisiert Informationsveranstaltungen. Nur finanzielle Förderungsmittel könne der Bezirk leider nicht bieten, sagt Hansen.

Über einzelne Stadtteile hinaus hat es sich der „Designpool Berlin“ zur Aufgabe gemacht, „die Berliner Modedesignszene zu beraten, zu vernetzen und zu professionalisieren“. Der Verein bietet Coachings für Existenzgründungen, vermittelt Gewerberäume und organisiert Kooperationsbörsen. Solche Branchentreffs begünstigen die Vernetzung, Designer können Kontakte zu Produzenten knüpfen. Der Vereinsvorsitzende Jörn Wichmann will „Designpotenziale langfristig an die Stadt binden und speziell jungen Modedesignern Wege einer erfolgreichen Zukunft aufzeigen“. Wichmann ist auch Geschäftsführer von „Berlinomat“ in Friedrichshain, wo ausschließlich Berliner Produkte verkauft werden. Ob Kleidung, Schmuck, Frühstücksbrett oder Lampe – Hauptsache, die Produkte kommen aus der Hauptstadt.

Andrea Faupel von „Besserdresser“ ist mit ihrem Laden bereits etabliert – ebenfalls in der Lychener Straße in Prenzlauer Berg. Seit drei Jahren steht sie als Designerin im Geschäft, entwirft und näht ihre Mode selbst und konnte sich im vorigen Frühjahr vergrößern. Vorher hatte auch sie von zu Hause aus gearbeitet. „Ich hätte es nie in einer anderen Stadt gewagt“, sagt die 35-jährige Diplomdesignerin. Sie ist Teil eines Mini-Netzwerkes: Faupel und Wolf, die Nachbarinnen, empfehlen gegenseitig ihre Läden der Kundschaft.

Mit einem anderen Konzept versucht es „Frauen und Kinder zuerst“. Das Geschäft hat im September 2008 eröffnet. Das Angebot: hochwertige Secondhandkleidung neben der Kollektion von Designerin Kikki von Ostendorf. Inhaberin Ina Hörning und ihre Design-Kollegin taten sich zusammen und überwanden bürokratische Hürden im Tandem. Es hat sich gelohnt, finden sie. „Das Eigene ist das Tolle“, sagt Ina Hörning. Nicht nur Alt und Neu machen den Charme der Boutique aus, auch die Frauen- und Kindermode. Maßgenähtes gibt es auch hier, von Ostendorf schneidert sogar alte Lieblingsstücke nach.

„Die Gefahr, dass man es nicht schafft, gibt es natürlich immer. Ein Designer aus Mitte sagte kürzlich zu mir, es habe sich ausgepunktet“, sagt Kikki von Ostendorf und schaut über die Schulter auf ihre Kollektion. Alles voller Punkte. Und die, sagt sie, verkauften sich prima.

ADRESSEN

Charivari

Kollektionen von Raja Tanczik, Lisa Kaltwasser und Anna Tembrink; Rykestr. 7 Mo.–Fr. 12–19 Uhr, Sa. 12–17 Uhr.

T. 440 173 69; www.tembrink.de

Besserdresser

Mode von Andrea Faupel, DaWanda, Mimi Savall, Tai loresse; Lychener Str. 10, Mo.–Sa. 12–18.30 Uhr.

T. 34 62 18 15; www.besserdresser.de

Anne Wolf

Braut- und Abendkleider und -mäntel in Maßanfertigung; Lychener Straße 16

T. 440 177 37; www.annewolf.de

Frauen und Kinder zuerst

Secondhandmode plus Kollektion Von Ostendorf; Kollwitzstraße 92. Kommissionsannahme: Di. u. Do. mit Termin, Sa. für Spontane. Mo. 14–19, Di.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr. T. 755 685 66

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false