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Das goldene Cape von Lutz Huelle hängt bei Andreas Murkudis im Laden.

© Lutz Huelle.

Mode - Andreas Murkudis im Interview: "Auch Kunden von Louis Vuitton werden weniger kaufen"

Designer und Einzelhändler Welt fordern, das überhitzte System der Mode zu entschleunigen - der Berliner Modehändler Andreas Murkudis gehört dazu.

Kauflust? Davon ist vier Wochen nach der Wiedereröffnung der Geschäfte wenig zu spüren. Auch im großen Modegeschäft von Andreas Murkudis an der Potsdamer Straße 81 in Tiergarten ist es sehr ruhig. Dabei gibt es gerade jetzt in der ehemaligen Druckerei des Tagesspiegels viel zu entdecken: Junge Labels aus Südkorea, blumige Jacketts vom belgischen Altmeister Dries van Noten, unkomplizierte Seersucker-Anzüge des Pariser Labels Seya und goldene Capes von Lutz Huelle. So viele schöne Sachen, die vielleicht nie einen Träger finden. Deshalb hat Andreas Murkudis einen offenen Brief unterschrieben, in dem Designer und wichtige Modehändler aus der ganzen Welt fordern, dass sich das Modesystem dringend entschleunigen muss. Auch Dries van Noten hat ein solches Papier veröffentlicht. Die Forderungen sind einfach: Zwei Präsentationen im Jahr in Paris und Mailand, gleichzeitig für Frauen und Männer. Dann gäbe es wieder zwei Kollektionen im Jahr, die vielen Zwischenkollektionen wären passé. Die Ware würde im August und März in die Läden kommen und dürfte erst im Januar beziehungsweise Juli, reduziert werden. Das Ergebnis wären längere Zyklen für weniger Produkte, die mit mehr Zeit entworfen würden. Andreas Murkudis erzählt, wie das gelingen könnte.

An wen ist der Brief adressiert?
Im Grunde soll die Industrie wachgerüttelt werden, Konzerne wie Kering, Louis Vuitton oder Richemont sind jetzt gefragt. Aber ob die darauf reagieren? Ihre zigtausend Läden weltweit brauchen ja Frequenz. Wenn da sechs Monate lang nur eine Kollektion hängt, weiß ich nicht, ob die das hinbekommen.

So wie vor der Krise kann es nicht weitergehen?
Fakt ist, dass sich alles ändern wird. Auch Louis-Vuitton-Kunden werden, genau wie meine, weniger kaufen wollen. Und jetzt wird man auch viel weniger produzieren können, weil die Zeit so knapp war. Ich glaube, die Leute haben aus der Situation gelernt, dass sie nicht so viel brauchen. Also warum nicht eine Kollektion pro Saison, im Januar den Winter und im Juli den Sommer? Auch die Marken müssten nicht mehr vier oder sechs Showrooms im Jahr bezahlen. Die Kollektionen könnten insgesamt kleiner werden. Dann muss man nicht mehr sechs Kollektionen mit jeweils 800 Teilen bemustern, von denen ein Drittel nicht angefasst wird.

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Jetzt ist der Rhythmus viel schneller?
Ich fahre achtmal im Jahr nach Paris und sechsmal nach Mailand. Weil Marken wie Loewe oder The Row sich nicht absprechen, muss ich manchmal nach Paris, nur um eine Kollektion zu ordern. Am Ende bleibt keine Zeit, über das eigene Konzept nachzudenken, weil ich ständig im Reisemodus bin.

Und die Marken drehen genauso am Rad?
Die Leute, die dort arbeiten, finden die Initiative toll. Auch sie verstehen nicht, warum sie in diesem Hamsterrad rennen. Wenn sie ein bisschen Zeit haben, müssen sie Analysen machen, wie der Umsatz 2022 aussehen wird.

Das kann man sich ja gerade schenken.
Das ist totale Zeitverschwendung. Besser wäre es, darüber nachzudenken, ob man so viel Mode braucht. Der Designer J.W. Anderson macht für Loewe acht Kollektion und für seine eigene Marke noch mal vier. Er muss also alle vier Wochen eine komplette Kollektion raushauen. Wann hat er Zeit, darüber nachzudenken, wie die Kollektion aussehen soll, wo der Fokus ist und welche die guten Teile sind? Irgendwann ist so viel dabei, was kein Mensch braucht. Die Cruisekollektionen werden bombastisch aufgebauscht, sind aber total belanglos. Am Ende geht es nicht ums Produkt, man kauft nur eine Marke.

"Auch ich bin manchmal erschüttert, wie viel Sachen kosten"

Es geht nur noch ums Drumherum?
Wenn du jemanden fragst, wie sah Chanel im Sommer 2019 aus, sagen die Leute, da stand ein riesiger Eisberg im Grand Palais, aber keiner kann dir sagen, wie die Kollektion aussah. Das ist einfach albern. Und dadurch wird das Produkt immer teurer. Auch ich bin manchmal erschüttert, wie viel Sachen kosten.

Mode wird uninteressant, wenn sie nicht mehr erreichbar ist.
Bei vielen Marken habe ich deshalb aufgehört, sie zu kaufen. Es gibt ein gutes Beispiel: eine schwarze Strickjacke von Martin Margiela. Als ich 2003 angefangen habe, kostete sie 270 Euro, als ich die Marke 2017 aufgegeben habe, waren es 790 Euro. Aber wenn sie dreimal so teuer ist, kann ich sie nicht mehr guten Gewissens anbieten. Früher habe ich zwanzig Stück bestellt und die waren ratzfatz verkauft. Am Ende war ich froh, wenn ich von Dreien zwei verkauft habe.

Kennen wir noch. Andreas Murkudis hat in der ehemaligen Druckerei des Tagesspiegels.
Kennen wir noch. Andreas Murkudis hat in der ehemaligen Druckerei des Tagesspiegels.

© Kai-Uwe Heinrich

Zeigt die Krise, was nicht funktioniert?
Die Krise stellt das ganze System in Frage. Die sechs Wochen haben natürlich auch beim Verbraucher sehr viel ausgelöst, der gemerkt hat: Ich brauche gar nicht so viel. Ich lese Bücher, ich koche und trinke mehr. Viele haben es genossen, auf vieles zu verzichten. Ob das jemals wiederkommt, wage ich zu bezweifeln.

Wie war es für Sie?
Ich finde es dramatisch, dass es ad hoc passiert ist, weil man sich nicht darauf einstellen konnte. Aber wenn ich sehe, dass die Kunden weniger kaufen, dann kaufe ich auch weniger ein. In Zukunft kann ich das regeln, es hat nur jetzt negative Konsequenzen, weil der Laden voll mit Ware ist. Aber sonst finde ich es nicht blöd, wenn die Leute anfangen, darüber nachzudenken, ob sie so viel brauchen und ob sie lieber nachhaltiger einkaufen wollen.

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