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Fazit der Fashion Week: Berlin sieht rostrot

Die Farbe der Stunde ist rostrot in allen Schattierungen. Das sieht vor allem an den leichten Mänteln schön aus, die es so zahlreich gab wie milde Tage in diesem Winter.

Es liegt nahe, dass auf der ersten Fashion Week der zwanziger Jahre an das Jahrzehnt erinnert wurde, das vor 100 Jahren begann. Wenn das nicht mal eine wunderbare Reminsenz ist – ein Mantel, lässig geschnürt wie ein Morgenrock mit tiefem Ausschnitt, und dann glänzt er auch noch so schön in dunklen Farben. Damit brachte das Designduo Odeeh das Gefühl für die wilden Jahre in Berlin auf den Punkt, ohne ins Historische abzugleiten.

Dass Designer mit Lurex und Lamé Stoffe zum Scheinen bringen, ist nicht wirklich neu. Odeeh hat eigentlich in jeder Saison einen Stoff dabei, in den metallische Fäden eingewebt sind, aber dieses Mal schwelgten sie geradezu im Glitzer. Auch bei William Fan gibt es immer ein Kleidungsstück, in dem sich der Träger schwerlich verstecken kann. Dieses Mal war es eine lange Weste mit flirrenden Lurexfäden. Aber dieses Mal machten auch viele andere Designer mit.

Bei Kilian Kerner war Lurex in langen Kleidern verstrickt, bei Sportalm wurde ein plissierter Rock aus dem metallischen Material sogar mit einer Skijacke kombiniert. All das passt zu den zwanziger Jahren, als die Schnitte schlicht, die Stoffe dafür kostbar waren und sich die Berliner Mode durch das Nachtleben mit Kabarett, Tanzsälen und verruchten Bars zum ersten Mal selbstbewusst gegenüber Paris zeigte.

Marc Cain lud zur Schau „Pearls, Stories und Champagne“ in einen reich geschmückten Saal. Kronleuchter, Tische verziert mit Perlen, Pralinen und blühenden Zweigen gaben das richtige Ambiente für die Swingband und den Conférencier, der durch die Modenschau führte.

Die Sehnsucht nach Unschuld ist groß in einer Zeit, in der Mode vielen Leuten keine guten Gefühle, sondern ein schlechtes Gewissen macht. Kein Wunder, dass sich Kindliches bei den Modenschauen auf unterschiedlichste Weise zeigte. Am dezentesten waren da noch kleine Puffärmel, die an vielen Blusen auftauchten. Auch bei Wolfgang Joop, der zum zweiten Mal für den Hemdenhersteller van Laack eine Kollektion entwarf. Dazu kamen hochgeschlossene Bubikragen und handfeste Lochstickerei an Säumen, wie sie auch an denen von Kinderkleidern verwendet wird.

Irene Luft verzierte ihre rosafarbenen Oberteile mit Rüschen, was ohne die Netzstrumpfhosen allzu niedlich gewirkt hätte. Odély Teboul gab sich nicht mit Andeutungen zufrieden, für ihr Label Lou de Bètoly verarbeitete sie kleine, rosafarbene Kinderkleider mit gesmokter Passe zu Blusen, in dem sie Vorder- und Hinterteil auseinandernahm und durch neue Stoffbahnen an der Seite wieder miteinander verband. Ähnlich machte sie es mit einer Latzhose in Kindergröße, die sie zu einer engen Shorts verarbeitete. Kilian Kerner widmete gleich seine ganze Kollektion der Heldin seiner Kindheit, Bibi Blocksberg. Er verzierte Mäntel mit handtellergroßen Sternen, das Hexenmädchen taucht als Comicfigur auf Bomberjacken auf.

Die Farbe der Stunde ist Rostrot in allen Schattierungen bis zu einem gebrochenen Orangerot. Besonders schön sahen die satten Töne auf leichten Wollmänteln aus, die es dieses Mal so zahlreich gab wie in diesem Winter mildes Wetter. Sogar das Casting vieler Designer hatte sich daran orientiert, auffallend viele rothaarige Models liefen über die Laufstege. An ihnen sehen diese Töne besonders interessant aus. Alle mit anderen Haarfarben können mit einer zweiten Farbe für Spannung sorgen, zum Beispiel mit Türkis wie bei Odeeh, mit Rosa oder Lila bei Marc Cain – auch eine Farbe, die schon wegen ihrer symbolischen Bedeutung als Frauenpowerfarbe gern verwendet wurde.

Um Frauenpower ganz anderer Art ging es bei vielen Mänteln und Mantelkleidern. In einer Welt, die mit schwehlenden Krisenherden überzogen ist, wappnet sich auch die Mode und rüstet auf. In Mänteln und Jacken im Military-Look marschierten die Models bei Nobi Talai, Lena Hoschek und Riani über den Laufsteg. Am Oberkörper eng geschnitten, fordern sie Haltung. Taschen und glänzende Knöpfe, Gürtel und Halfter strukturieren und schmücken die schlichten Schnitte. Die edlen Wollstoffe und Lederqualität machen aber deutlich, dass es sich im Grunde um Paradeuniformen handelt und Diplomatie bevorzugt wird.

Respekt ist das Thema, das in der „Artisan Partisan“-Kollektion von Lena Hoschek und in Nobi Talais autobiografischer Meditation immer wieder den Military- mit dem Ethno-Look verbindet. Die Designerin Nobieh Talaei begab sich für ihre bisher beste Kollektion auf die Spuren ihrer Vorfahren, die als Nomaden im Iran lebten. Sehr subtil zeichnet sie im Spiel mit orientalischen und westlichen Kleiderformen den Weg ihrer Familie von Persien ins Hier und Jetzt nach. Tunika-Hosen-Kombinationen und fließende Seide, die bei Talaei oft kunstvoll plissiert ist, stoßen auf Herrenhosen und -schuhe. Der Diskurs über kulturelle Aneignung hat seine Spuren hinterlassen.

Die Looks von Lena Hoschek wirken nie wie kostümiert, sondern in ihrer schlichten Form als Referenz an die textilen Künste Pakistans und des Balkans. Zitiert Hoschek Trachten, dann vermittelt sie eine Spur Hippieromantik. Ungestraft Cowboy und Indianer spielen darf nur jemand wie Wolfgang Joop in den Entwürfen für die Meisterwerk-Kollektion von van Laack.

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