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Peter Altmaier vor den Pyramiden von Gizeh.

© Omar Zoheiry/dpa

Mit Peter Altmaier in Ägypten: Handel in vermeintlicher Ruhe

Deutsche Firmen können in Ägypten wieder viel Geld verdienen. Das macht Peter Altmaiers Reise durch das Land zu einem Dilemma.

Die Zukunft Ägyptens steht in der Wüste, 70 Kilometer östlich von Kairo. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier steht mittendrin. Genauer gesagt: in einer länglichen Mannschaftsbaracke am Fuße eines riesigen Gasturbinen-Kraftwerks, fünf rot-weiße Schlote überragen das Gelände. Altmaier ist umringt von etwa 100 Menschen, Arbeitern in gelben Westen und mit Hartschalenhelmen. Ihm gegenüber sitzt der ägyptische Minister für Elektrizität. Altmaier fühlt sich sichtlich wohl. Denn das Kraftwerk, in dem er steht, ist der beste Beweis dafür, dass deutsche Unternehmen in Ägypten viel Geld verdienen können. Wieder Geld verdienen können. Weil wieder Ruhe eingekehrt ist in diesem Land. Doch genau das ist auch Altmaiers Dilemma.
Acht Jahre nach dem arabischen Frühling, nach der Revolution auf dem Tahrir-Platz, auf dem Hunderttausende für Demokratie und soziale Gerechtigkeit demonstrierten, nach Straßenschlachten und etlichen Regierungswechseln hat sich eine bleierne Stille über das Land gelegt. Abdel Fattah al Sisi, der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes, hat 2013 den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens in einem Staatsstreich abgesetzt, sich 2014 und dann 2018 ein zweites Mal zum Präsidenten wählen lassen. Kritiker der Regierung werden inhaftiert und abgeurteilt, die Opposition kriminalisiert; die meisten unabhängigen Medien wurden geschlossen, von regierungsnahen Eigentümern oder gleich dem Geheimdienst übernommen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von zehntausenden politischen Gefangenen in ägyptischen Gefängnissen. Peter Altmaier spricht von Stabilität.
Die Turbinen für das Kraftwerk in der Wüste hat Siemens geliefert. Es ist das größte seiner Art weltweit, mit einer ägyptischen Partnerfirma wurde es in nicht einmal drei Jahren hochgezogen. Ein „historischer Augenblick“ sei das, sagt Altmaier. Er gratuliert dem ägyptischen Minister für Elektrizität, dass er den Auftrag an Siemens vergeben hat, „ein wundervolles Unternehmen“, auf das er stolz sei.
Es ist nicht das einzige. Ägypten und Deutschland sind seit vielen Jahren wirtschaftlich eng verbunden. Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2018 knapp sechs Milliarden Euro. Ägypten zählt zu den größten Importeuren deutscher Wehrtechnik außerhalb der EU, lässt sich Fregatten im Wert von hunderten Millionen Euro liefern. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages sind mittlerweile wieder rund 190 deutsche Firmen in Ägypten vertreten, die fast 35 000 Menschen beschäftigen. Und, auch davon spricht Altmaier, die Sicherheit und Stabilität im Land habe dazu beigetragen, dass die Zahl der deutschen Touristen im vergangenen Jahr um 40 Prozent gestiegen sei. Aus keinem anderen Land kämen nun mehr Urlaubsgäste nach Ägypten.

Ein Land in der Verschnaufpause

Als Bundeswirtschaftsminister kann er sich über diese Entwicklung freuen. Als Mitglied der Bundesregierung muss er sich sorgen, dass Ägypten heute weiter von Demokratie und Rechtstaatlichkeit entfernt ist, denn je. Er will das ändern. Aber auf seine Art.
Um den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo fahren die Autos, mehrspurig, hupend. Das einstige Symbol des demokratischen Aufbruchs ist heute wieder nicht mehr als ein überdimensionierter Kreisverkehr, ein Verkehrsproblem. Nur wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt steht Peter Altmaier im noblen Hotel Intercontinental in einem dunkel getäfelten Konferenzraum und begrüßt die etwa 30 Teilnehmer der deutschen Wirtschaftsdelegation, die ihn für drei Tage auf dieser auch diplomatisch heiklen Mission begleitet. Altmaier sieht die Dinge so: Ägypten habe viele Probleme gehabt – ja, auch jene auf dem Tahrir-Platz – und gerade eine Verschnaufpause.
Was er nicht sagt: Deutschland muss diese Verschnaufpause nutzen. Um zu investieren. Aber auch, um Druck auf das Regime auszuüben. Die Frage ist nur, wie.
Wer sich unter den Wirtschaftsdelegierten umhört, bekommt eine Ahnung davon, welche Kompromisse im Hintergrund abgewogen werden. Es gebe ja zwei Schulen für den Umgang und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit autoritären Regimen, erzählt ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums später beim Abendessen.
Die eine sagt, Investitionen würden Leute wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan oder eben auch Abdel al Sisi stützen und ihre Herrschaft stabilisieren. Die andere meint, wirtschaftliche Kooperation, Investitionen in Arbeitsplätze und Bildung würden früher oder später zu einer gesellschaftlichen Entwicklung führen, die dann auch politischen Fortschritt ermöglicht. In der die Jugend „eine Perspektive“ hat und nicht abrutscht und sich radikalisiert. Der deutsche Wirtschaftsminister scheint der zweiten Schule anzuhängen.
Die deutschen Wirtschaftsleute, die teilweise schon seit vielen Jahrzehnten hier Straßen, Brücken und U-Bahnen bauen, die Kraftwerke verkaufen oder auch Federbetten für Luxushotels, sind jedenfalls Fans der Stabilität. Einer vergleicht die ägyptische Bevölkerung mit Kindern, die man ja auch nicht einfach so selbst entscheiden lassen könne, was das Beste für sie sei. Dann kritisiert er, den deutschen Medien falle auch nichts anderes ein, als ständig auf den Menschenrechten herumzureiten. Was denn die Alternative zu al Sisi sei? Die Muslimbrüder etwa?

Bildung und Wohlstand für Ägypten

Bisher ist al Sisi noch mit allem durchgekommen. Altmaiers Vorgänger im Amt, Sigmar Gabriel, nannte ihn seinerzeit einen „beeindruckenden Präsidenten“. Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte al Sisi für seine zweite Amtszeit alles Gute. Die Zurückhaltung der Bundesregierung hat auch damit zu tun, wie der Nahe Osten acht Jahre nach dem arabischen Frühling aussieht: Es herrscht Bürgerkrieg in Libyen und Syrien, im Jemen liefern sich Iran und Saudi-Arabien einen Stellvertreterkrieg, und der so genannte Islamische Staat destabilisiert die Region weiterhin mit Anschlägen. Al Sisi und die Politik der harten Hand sind das kleinere Übel, so denken viele in Ägypten wie in Deutschland. Immerhin fängt er keine Kriege an, hält sich an den Friedensvertrag mit Israel und versucht, die Wirtschaft in Schwung zu bringen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hingegen, der eine Woche vor Altmaier hier war, hat bei einer Pressekonferenz al Sisi gesagt, bei aller Freundschaft, Stabilität sei wichtig, aber echte Stabilität gebe es nur, wenn es auch Meinungsfreiheit gebe, Achtung der Menschenrechte, Raum für die Zivilgesellschaft, sich ohne Furcht vor Repression zu entfalten. In den vergangenen Monaten hätten sich die Dinge in die falsche Richtung entwickelt, sagte Macron, und sprach von inhaftierten Bloggern und Aktivisten. Er habe al Sisi eine Liste überreicht, auf der stehe, was man sich von ihm wünsche. Altmaier scheint allerdings der Überzeugung zu sein, dass dies vor allem Show war – für das Publikum zuhause. Und ein Ausgleich dafür, dass Macron bei al Sisis Besuch in Paris 2018 sinngemäß gesagt hatte, er enthalte sich eines Urteils über Ägyptens innere Angelegenheiten, wofür er kritisiert wurde. Altmaier sagt zu den Wirtschaftsvertretern, es gebe jetzt die Gelegenheit, den Ägyptern „Bildung und Wohlstand“ zu bringen. Was wohl auch bedeuten soll: So einfach ist das alles nicht. Übt er öffentlich Kritik, bekommt er vielleicht Lob zuhause, in der Sache bringt es aber nichts.

Dynamik der Modernisierung

Was ihm vorschwebt, lässt sich bei der Grundsteinlegung der German International University for Applied Sciences, einer künftigen deutsch-ägyptischen Fachhochschule, beobachten. Nur 25 Minuten sind dafür im Programm vorgesehen. Es ist schon dunkel in der Wüste östlich von Kairo, wo einmal Ägyptens neue Verwaltungshauptstadt stehen soll. Statt der Universität gibt es dort bisher nur ein großes Zelt. Der Minister, in der Kolonne über die menschenleere Autobahn angereist, wird sofort von einem Pulk Kameramänner umringt. Aus dem Zelt dröhnt Musik, über ihm schwirrt eine lärmende Kameradrohne, die Lichter der Kameras blenden, eine Videoanimation zeigt, wie die Fachhochschule einmal aussehen wird. Es ist eine große PR-Show, aber Altmaier sieht mehr darin. Er sei bewegt, sagt er in seiner Ansprache, dies sei ein „wundervoller und historischer Moment“. Man sei mitten in der Wüste, er habe an das Tal der Könige denken müssen, an die Macht der Pharaonen, die kunstvollen Gegenstände, die an sie erinnern. Jetzt werde hier eine Fachhochschule eröffnet, „da bin ich berührt und bewegt, weil hier junge Leute lernen werden“. Altmaier sagt, er sei beeindruckt von der Dynamik der Modernisierung, von der Jugend, von der es abhängen werde, eine bessere Welt zu schaffen. „Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen.“ Für Altmaier ist es der erste Besuch in Ägypten. Bisher kannte er das Land nur aus Büchern und Dokumentationen. Auf dem Hinflug hat er erzählt, wie er als Elfjähriger von seinem Onkel ein Buch geschenkt bekam, es handelte von der Entdeckung der Grabstätte des Pharaos Tutanchamun durch Howard Carter und Lord Carnavon. Vor seinem Treffen mit al Sisi hat er sich briefen lassen. Zwei Menschenrechtsorganisationen sollen ihn beraten haben. Und vor seiner Abreise aus Kairo will er noch in der Botschaft mit nicht näher benannten Vertretern der Zivilgesellschaft reden. Öffentlich darüber sprechen will er nicht. Um die Welt gehen stattdessen Bilder von ihm neben Präsident al Sisi. Die beiden treffen sich zu vertraulichen Gesprächen. Fotos, die das Wirtschaftsministerium später veröffentlicht, zeigen den ägyptischen Präsidenten an der Stirnseite seines großen ovalen Sitzungstisches, Altmaier mit einigem Abstand an der Seite. Die deutsche Wirtschaftsdelegation darf später mit rein zum Präsidenten. Die meisten deutschen Journalisten scheitern am ägyptischen Sicherheitspersonal. Nur Fotografen und Kameramänner dürfen kurz in den Saal.

Menschenrechte? Schwieriges Thema

Das zeigt, wie sehr al Sisis Macht darauf fußt, die öffentliche Meinung zu kontrollieren. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sagt, in Ägypten seien „so viele Medienschaffende inhaftiert wie in kaum einem anderen Land der Welt“. Derzeit seien mindestens 32 Journalisten in ägyptischen Gefängnissen, viele jahrelang ohne Anklage in U-Haft, andere zu hohen oder gar lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zum Beispiel Mohammed al Husseini, der im Dezember 2017 festgenommen wurde, als er für eine Reportage über gestiegene Preise für Schreibwaren recherchierte.

Peter Altmaier diskutiert mit Abdel al Sisi.
Peter Altmaier diskutiert mit Abdel al Sisi.

© Omar Zoheiry/dpa

Im Land selbst sind solche Fälle kaum bekannt. Kritische ausländische Fernsehsender wie Al Dschasira sind verboten, viele Tageszeitungen geschlossen. Als kürzlich der US-Sender CBS al Sisi in einem Interview fragte, ob Blut an seinen Händen klebe, drängte der ägyptische Botschafter, das Gespräch nicht auszustrahlen, ägyptische Medienportale erhielten die Anweisung, das Interview nicht zu erwähnen. Nur ein Online-Portal berichtete davon, es ist allerdings im ägyptischen Netz blockiert. Altmaier äußert sich nach seinem Gespräch mit al Sisi lediglich vage in einem Interview mit der Deutschen Welle. Er habe den ägyptischen Präsidenten auf die Menschrechtslage angesprochen. Der war offenbar nicht einsichtig. „Präsident al Sisi hat eine klare Position“, sagt Altmaier. „Dass er nämlich darauf Wert legt, dass Ägypten mit anderen Ländern nicht vergleichbar ist, sondern nur mit Ländern in dieser Region.“ Darüber hätten sie offen und ehrlich gesprochen. „Und mir ist auch wichtig, dass wir im Bereich der Bildungskooperation und im Bereich der Handels- und Industriekooperation vorankommen“, sagt Altmaier. „Weil ich überzeugt bin, dass sich mit zunehmendem wirtschaftlichen Erfolg auch die demokratische Situation und die Situation der Menschenrechte stabilisieren wird.“

Tatsächlich hält sich das Interesse an Altmaiers Mission daheim in Grenzen. So richtig ist Altmaier deswegen in Ägypten nie angekommen. Zu sehr verfolgen ihn die Themen aus Deutschland, die Kritik an seiner Industriestrategie 2030, die Entscheidung der Kohlekommission. Am Ende steht Peter Altmaier auf einer Anhöhe vor den Pyramiden von Gizeh, diesem historischen Zeugnis absoluter Tyrannei in einem autokratischen Staat, den er nicht öffentlich kritisieren will und spricht in die Kamera – über die Grundrente.

Pepe Egger

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