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Aus dem Jäger wird ein Gejagter. Hitman Michael Fassbender auf der Flucht.

© Courtesy of Netflix/Netflix

Michael Fassbender als Auftragsmörder in David Finchers neuestem Film: Im Kopf des Unmenschen

Sein Mantra: Keine Empathie. David Fincher seziert in „The Killer” den zynischen Geist eines Auftragsmörders.

Glamourös ist dieser Job als Auftragsmörder ja nicht gerade. Da sitzt der namenlose Killer (Michael Fassbender) in einer entkernten Wohnung in Paris und gähnt. Um ihn herum: Bau-Utensilien, ein Heizstrahler und ein Gewehr mit Schalldämpfer. Vor ihm: das Fenster zur Wohnung gegenüber, in der irgendwann die Zielperson auftauchen soll. Der Killer wartet, macht Yoga, schläft ein bisschen, bis ihn seine Smartwatch wieder weckt. Ein Blick aus dem Fenster – immer noch nichts. 

David Fincher zeigt in „The Killer“ die Seiten des Berufs, die andere Filme eher aussparen. Auch, wenn nicht viel passiert in den ersten Szenen: Im Off redet dieser Killer pausenlos. Der Regisseur und sein Autor Andrew Kevin Walker, der auch das Drehbuch zu Finchers erstem Hit „Sieben“ (1995) geschrieben hat, geben dem eigentlich wortkargen Killer viel Raum, um seine Sicht auf die Welt auszubreiten. Keine Empathie, ermahnt er sich mantraartig. Gleichzeitig erteilt Fincher seinerseits eine Lektion in Sachen filmischer Einfühlung. Er übernimmt den Blickwinkel des Killers, will das Publikum in den Kopf dieses Unmenschen hineinzwingen. Es gelingt ihm.

Als der Schuss versehentlich die Falsche trifft und der Hitman die Flucht antreten muss, hofft man unweigerlich, er möge mit heiler Haut davonkommen. Die Auftraggeber haben weitere Mörder:innen ausgesandt, um nach dem Debakel „aufzuräumen“. So mutiert der Killer vom Jäger zum Gejagten – und wieder zurück, wenn er die Häscher:innen seinerseits ins Visier nimmt. (Eine davon: Tilda Swinton in einem gewohnt einprägsamen Kurzauftritt.) Als seine Freundin (Sophie Charlotte) zur Zielperson der „Kolleg:innen“ wird, gesteht er sich doch noch eine Regung zu: Rachedurst. 

Michael Fassbender als Attentäter in „The Killer“.

© Courtesy of Netflix/Netflix

Fassbender spielt das wunderbar reduziert. Kein einziges Mal habe er beim Dreh vor der Kamera geblinzelt, verriet Kameramann Erik Messerschmidt (Oscar für Finchers „Mank“) in Interviews. Die blauen Augen des Schauspielers liegen tief in den Höhlen, wie bei einem Totenkopf. Aus ihnen blitzt eine distanzierte Bedrohlichkeit. Seinen sehnigen, breitschultrigen Körper bewegt er mit einer Mischung aus Anspannung, Sicherheit und Eleganz. So wird der Killer zu einer Art Anti-Bond. Er reist um die Welt im Auftrag des Geldes. Immer wieder neue Länder, neue Identitäten, neue Opfer.  

Der Film kopiert das hocheffiziente Wesen seiner Hauptfigur. Wer da zu Beginn umgebracht werden sollte? Diese Frage stellt sich nie. So effektiv die Hauptfigur ihre Arbeit verrichtet, so gekonnt verfugt Fincher seinen Thriller. Souverän variiert er das Tempo, erzählt über weite Strecken mit erstaunlicher Ruhe. Der Monolog des Killers lullt geradezu ein – bis es plötzlich zur Sache geht. Für Momente bekommt der Film dann eine Rasanz, die aufschimmern lässt, was für ein Reißer „The Killer“ hätte werden können.  

Als der Killer einen seiner Verfolger in New Orleans aufspürt, kommt es zu einer denkwürdigen Schlägerei. Fincher zeigt sie ausdauernd und unmittelbar. Die Kamera vibriert, wenn die Körper gegen die Wände knallen. Im Kern ist „The Killer“, basierend auf einer französischen Comicreihe, ein konsequent visueller Thriller. Kaum Dialoge, alles erzählt über Blicke und Einstellungsfolgen – dazu dann jede Menge Voice-Over.

Man könnte dem Film Schwatzhaftigkeit unterstellen, doch das trifft es nicht ganz. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, wie wenig sich der Regisseur um eine Krimi-Dramaturgie schert. Wie schon in seinem reizvoll sperrigen Serienmörder-Coup „Zodiac“ (2007) verweigert er einen finalen Showdown. Auch die Action dosiert er sparsam. 

Ihn interessiert vielmehr die fundamental unmenschliche Logik des Serientäters und Geschäftsmanns. Wer will, kann unter der matt-glänzenden Oberfläche von „The Killer“ auch kapitalismuskritische Untertöne heraushören. So viel Subtext ist sich Fincher, dieser Genre-Meister mit Auteur-Anspruch, selbst in einer gehobenen Stilübung schuldig. 

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