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Meinung: Zurückgeschrieben: Reaktion auf den Terror: "Ist der Vergeltungsschlag nötig?"

Über Tausende Amerikaner ist nach dem 11. September eine Welle von Trauer und Wut hereingebrochen.

Über Tausende Amerikaner ist nach dem 11. September eine Welle von Trauer und Wut hereingebrochen. Über Tausenden Menschen in der muslimischen Welt hängt nun eine Wolke aus Angst, Ungewissheit und Wut. Wut auf die von ihren Glaubensoberhäuptern verteufelten Amerikaner. Wut, die aus Armut, Hunger und Unterdrückung resultiert.

Mich entsetzen die Ausmaße, die Hass annehmen kann. Natürlich ist es einfach für uns in der so genannten "zivilisierten Welt", den Rat zu geben: Löst das Problem mit Verständnis und Toleranz! Auch ich bin wütend über das Unglück und die vielen unschuldigen Toten. Aber dass der anscheinend jetzt notwendige Vergeltungsschlag zwangsläufig zu weiterem großen Unglück führen wird, scheint mir sicher zu sein.

Wäre es nicht an der Zeit, endlich außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen und unerwartet auf den entfachten Terror zu reagieren? Zu versuchen, die Verantwortlichen dingfest zu machen, die Netze zu zerschlagen, aber ansonsten die Waffen ruhen zu lassen? Wäre es nicht überraschend und erschreckend für jemanden, der gelernt hat, seine Ziele nur mit Gewalt durchzusetzen, sich plötzlich mit etwas konfrontiert zu sehen, das ihm fremd ist und ihn verunsichert? Mit Toleranz?!

Allerdings habe ich keinen lieben Angehörigen verloren. Ich kann nicht darüber urteilen, ich kann nur hoffen. Raewyn Leipold (17 Jahre), Rheingau-Oberschule, Berlin-Friedenau

Liebe Raewyn Leipold

Ihr Grundgedanke, mit etwas Unerwartetem (Sie nennen es Toleranz) auf die neue Dimension des Terrors zu reagieren, hat etwas sehr Anziehendes. Sie sagen aber selbst, dass zunächst das Erwartbare kommen muss, nämlich der Versuch, die Verantwortlichen dingfest zu machen und die Netze der Terroristen zu zerschlagen. Unter den gegebenen Umständen kann das ohne die Anwendung von mehr als polizeilicher Gewalt nicht abgehen: Die Taliban weigern sich, die Kerngruppe der mutmaßlichen Terrorplaner auszuliefern.

Der unmittelbare, wohl auch von Ihnen für unverzichtbar gehaltene Schlag gegen das globale Terrornetz schließt also zwangsweise militärische Gewaltanwendung ein. Ich glaube, dass es auch für die Zukunft notwendig ist, Null Toleranz zu üben gegenüber Terroristen (allerdings allen!) und denen, die sie finanzieren und ihnen Deckung geben. Selbstmordattentäter reagieren nicht auf Abschreckung - wohl aber, das zeigt sich gerade jetzt, ganze Länder, die bisher Terroraktivitäten unterstützt haben.

Wo Ihr Plädoyer für Verständnis und Toleranz greifen kann, das ist dort, wo die Resignation von Benachteiligten dieses Planeten in Hass auf die Reichen und Mächtigen der Welt umschlägt. Unsere Weltordnung ist ungerecht. Sie produziert zugleich sowohl provozierenden Reichtum als auch demütigende Armut.

Wir gehören zu den Privilegierten. Verständnis und Toleranz für die Gedemütigten allein wird aber nicht reichen, um diese ungerechte Weltordnung zu korrigieren. Es geht nur, wenn wir zu materiellen Opfern bereit sind, zum Beispiel höhere Preise für Rohstoffe aus der Dritten Welt bezahlen. Das wäre tatsächlich eine außergewöhnliche Reaktion, wirksam gegen die Entstehung des Hasses auf das globale Establishment.

Raewyn Leipold (17 Jahre)[Be], Rheingau-Oberschule[Be]

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