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Eine Demonstrantin fordert bei einer DGB-Kundgebung zum 1. Mai die Vier-Tage-Woche.

© dpa/Michael Reichel

Weniger arbeiten, schöner leben: Die Vier-Tage-Woche verschärft unsere Probleme

Als Instrument gegen den Arbeitskräftemangel und für eine bessere Work-Life-Balance kann die Arbeitszeitverkürzung taugen. Aber nur in Einzelfällen.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Das Marketing der IG Metall versetzt seit Jahrzehnten die Arbeitgeber in Angst und Schrecken. Mit Slogans wie „Samstags gehört Vati mir“, „Ende der Bescheidenheit“ oder „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“ bringt die größte deutsche Gewerkschaft seit jeher die Leute in Wallung. Das ist Sinn der Sache: ein Klima schaffen, in dem sich Forderungen durchsetzen lassen. Jetzt also die Vier-Tage-Woche.

Der aktuelle Aufschlag kommt aus Nordrhein-Westfalen, wo die Tarifverträge der Stahlindustrie ausgehandelt werden. Ende des Jahres ist es wieder so weit, und dann steht womöglich „Vier Tage sind genug“ auf den roten Fahnen. Wie sehr die Strategen der Gewerkschaft mit dieser Idee den Zeitgeist treffen, zeigen die Reaktionen.

Sogar die neue Berliner Arbeitssenatorin möchte in der Verwaltung in Modellprojekten die Vier-Tage-Woche ausprobieren. Weniger arbeiten, obgleich jetzt schon viele Bereiche kaum leistungsfähig sind? Und mit Blick auf die Gesamtwirtschaft: Können wir uns kürzere Arbeitszeiten leisten, obwohl der Arbeitskräftemangel Wachstum und Wohlstand gefährdet?

Samstags gehört Vati mir!

DGB-Slogan von 1956 für die Fünf-Tage-Woche

Vier-Tage-Woche bei VW

Die Vier-Tage-Woche ist keine neue Erfindung. VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz nutzte diese drastische Form der Arbeitszeitverkürzung, um Volkswagen 1993 ohne Massenentlassungen durch die Krise zu bringen. Weniger Arbeit und weniger Einkommen führten zu einer so großen Kostenentlastung, dass der drohende Verlust von 30.000 Arbeitsplätzen vermieden wurde.

In der Coronakrise vereinbarten IG Metall und Arbeitgeber die Option zur Senkung der Arbeitszeit bei Teillohnausgleich. Überhaupt gibt es in der Industrie schon lange die tarifliche Möglichkeit, mit Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze zu sichern.

Attraktivität des Arbeitsplatzes

Doch das ist nicht das Ziel der aktuellen Debatte. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann argumentiert vielmehr mit Selbstbestimmung und Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, um gerade auch junge Menschen für die Industrie begeistern zu können: Arbeitszeitverkürzung erhöht die Attraktivität des Arbeitsplatzes. Und die Beschäftigten arbeiten motivierter, produktiver und gesünder. So weit, so gut. Und wer macht die Arbeit?

Kurze Arbeitszeiten sind in Schule und Altenheim Teil des Problems. Der Anteil der Teilzeitkräfte unter den Lehrerinnen und Lehrern ist immer größer geworden und liegt inzwischen bei 40 Prozent. Gleichzeitig fehlen allerorten Lehrkräfte, allein Sachsen-Anhalt rund 1000. Die Landesregierung hat eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde verordnet; das schließt die Personallücke um etwa die Hälfte – und macht den Job unattraktiver.

Pflege in Teilzeit

Fast zwei Drittel der Pflege- und Betreuungskräfte arbeiten geringfügig oder in Teilzeit. Ähnlich wie in den Schulen ist die Belastung so groß, dass die meisten Vollzeit nicht schaffen. Hier haben die Arbeitsbedingungen zu einer drastischen und volkswirtschaftlich schädlichen Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich geführt.

Kollektive Arbeitszeitverkürzungen, also solche, die eine ganze Branche betreffen, bezahlten die Gewerkschaften in der Vergangenheit mit Flexibilität. Die je nach Auftragslage „atmende Fabrik“ erhöhte die Produktivität in der Industrie, sodass kürzere Arbeitszeiten sich auch für die Unternehmen rechneten. Das kann in der automatisierten Stahlindustrie mit einer Vier-Tage-Woche funktionieren.

Ein Modell für die gesamte Industrie oder sogar die Volkswirtschaft ist das nicht. Umfragen zufolge wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten eine Vier-Tage-Woche. Und fast alle hätten gerne höhere Einkommen und ordentliche Renten so früh wie möglich. Ein Traum.

Auf dem Arbeitnehmermarkt gibt es viel mehr offene Stellen als Bewerber, und nur ein Mix aus Maßnahmen kann unser Wohlstandsniveau sichern: gute Arbeitsbedingungen, höhere Erwerbsquoten von Frauen und Älteren, mehr Zuwanderung, bessere Berufsorientierung in den Schulen, eine andere Weiterbildungskultur. Ob hier und da die Vier-Tage-Woche passt, entscheiden die Tarifparteien.

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