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Einwurf der Stimmzettel in eine Wahlurne in Berlin am 26. September 2021.

© Imago/Emmanuele Contini

Verwundbare Demokratie: Fehler wie bei den Wahlen in Berlin dürfen nicht wieder geschehen

Wenn Teile der Bundestagswahl am Sonntag in Berlin wiederholt werden, entstehen neue Ungerechtigkeiten. Daher sollte diese Wahl eine Mahnung sein, besser auf die Grundfeste der Demokratie achtzugeben.

Ein Kommentar von Anna Thewalt

Fehler sind menschlich. Jeder macht sie, mancher ärgert sich darüber. Über manche Fehler kann man hinwegsehen, andere ausbügeln. Wieder andere kann niemand mehr beseitigen.

20 Prozent der Berlinerinnen und Berliner sind an diesem Sonntag aufgerufen, erneut ihre Stimme für den Deutschen Bundestag abzugeben – und dabei auch die Pannen, die bei der Wahl 2021 passierten, wettzumachen.

Die Wiederholungswahl zeigt eins: Fehler bei Wahlen in der Größenordnung, wie sie in Berlin passierten, können nicht ausgebessert werden. Sie dürfen deshalb nie wieder passieren. Je gravierender die Folgen eines Fehlers sind, je schwieriger er zu korrigieren ist, desto mehr muss darauf geachtet werden, dass er erst gar nicht geschieht. Gerade in einer Demokratie.

Ein Regierender Bürgermeister auf dem Wahlzettel, der keiner mehr ist. Kandidaten, die keine mehr sein wollen. Weil sie inzwischen Senatorin sind oder aus ihrer Partei ausgetreten. Auch eine Terrorverdächtige steht zur Abstimmung.

Zudem ist das Prozedere bizarr. Während die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus in ganz Berlin wiederholt wurde, ist dieses Mal nur ein Fünftel der Berliner Wahlberechtigten zur Stimmabgabe aufgerufen.

Zwar stehen dieselben Personen wie 2021 auf dem Stimmzettel, aber es dürfen nicht dieselben Wähler wie damals in den 455 Wahlbezirken an die Urnen. Wer verzogen ist, dessen Stimme fällt weg. Wer neu in einem der Wahlkreise gemeldet ist, darf erneut abstimmen.

An den Machtverhältnissen im Bund wird der Ausgang der Wahl nichts ändern. Es wird nur in Berlin gewählt, aber Abgeordnete aus Hessen oder Nordrhein-Westfalen könnten neu in den Bundestag einziehen.

Mit dieser Wiederholungswahl werden Fehler anerkannt, aber es entstehen neue Ungerechtigkeiten.

Anna Thewalt

Das Wahlsystem ist kompliziert. So ist nur schwer zu verstehen, wie sich das Ergebnis im Detail auswirken wird. Das führt bisweilen zu Verdruss und Unverständnis. Und bei manchen gar zur Unlust, an der Wahl teilzunehmen.

Mit dieser Wiederholungswahl werden Fehler anerkannt, aber es entstehen neue Ungerechtigkeiten. Was folgt? Im schlimmsten Fall wenden sich Menschen ab. Weil sie nicht für Fehler aufkommen wollen, die andere gemacht haben.

Für die Parteien dient die Mini-Wahl trotzdem als erste Standortbestimmung im Superwahljahr 2024. Dabei sollte sie ihnen viel mehr eine Mahnung sein: eine Mahnung, auf die Grundfeste der Demokratie achtzugeben. Und den Blick auf das Wesentliche zu richten. Weil die Wahlorganisation wohl zur Routine geworden war, dachten sich routinierte Berufspolitiker im Vorfeld der Berliner Wahl 2021, es würde schon alles irgendwie gut gehen. Das Gelingen wurde als Selbstverständlichkeit betrachtet. Auch das: ein Fehler.

Die Demokratie, das haben das Berliner Wahlchaos und seine Folgen gezeigt, ist verwundbar. Wie verwundbar, darüber machen sich gerade Hunderttausende Menschen Gedanken, die in deutschen Städten und Dörfern gegen Rechtsextremismus und für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft auf die Straße gehen.

Was bedeutet es, in solch einer Gesellschaft zu leben? Ganz sicher auch, das wichtigste politische Instrument als Bürger ohne Hindernisse anwenden zu können: seine Stimme abzugeben.

In dem Sinne zählt auch am Sonntag jede Stimme, wenn auch die Auswirkungen im politischen Gefüge überschaubar sind. Damit wird auch so etwas nur scheinbar Profanem wie einer erfolgreichen Wahlorganisation wieder die Bedeutung beigemessen, die es hat. Eine Wahl muss ein Kraftakt bleiben, darf nicht Laissez-faire werden.

Gelungene Wahlorganisation ist kein Hexenwerk. Dafür braucht die Verwaltung genug Geld und Personal, die zuständigen Politiker und Organisatoren brauchen die nötige Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein. Der Berliner Landeswahleiter hat es gesagt: „Reibungslose Wahlen gibt es nicht.“ Aber reibungsarme schon. Denn Fehler sind menschlich. Daraus zu lernen allerdings auch.

Demokratie ist anstrengend, manchmal unbequem, in jedem Fall Handarbeit. Und wie das so ist im Handwerk: Wer schlampig wird, braucht ein Pflaster. Die Wahl am Sonntag wirkt maximal wie ein dürftiges Trostpflaster. Eine Narbe bleibt.

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