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Großbritannien wählt: Und alle Fragen offen

Matthias Thibaut über eine eine Entscheidung zwischen Ungewissheit und Verbitterung.

Nach einem mit Optimismus und Charme geführten Wahlkampf gewann Labour-Chef Tony Blair im Mai vor 13 Jahren eine Unterhauswahl und führte nach 18 Tory-Jahren einen Epochenwechsel herbei. Die Hoffnungen waren groß und der Weg war klar. Die Wirtschaft befand sich in bestem Zustand. Jeder, der Großbritanniens vernachlässigte öffentliche Dienste kannte, wusste, worum es in der Politik der kommenden Jahre gehen würde. „Things can only get better“, hieß Labours Wahlkampfsong – es kann nur besser werden.

Solcher Optimismus ist in dem Wahlkampf, den Premierminister Gordon Brown am gestrigen Dienstag ausrief, ein rares Gut. Die Zukunftsfragen, die an diese Wahl gestellt werden, sind komplexer und vielfältiger als damals, die Antworten und Rezepte unklarer denn je. Für die meisten Briten wäre es schon ein Erfolg, wenn es noch eine Weile so bleiben würde, wie es war. Das gigantische Haushaltsdefizit, an dem sie sich wohl eine ganze Dekade abarbeiten müssen, ist nur eines der Probleme. Das Land muss sich fragen, wie es in Zukunft ohne Hauspreis-Blasen und den Kasinokapitalismus der City das Geld verdienen kann.

Nicht nur die Wirtschaft muss nach der Krise neu aufgebaut werden. Die Menschen haben das Vertrauen in das politische System verloren. Nie war der Zynismus gegenüber Politikern und Institutionen größer – ein unkalkulierbarer Faktor bei dieser Wahl. Großbritanniens Gesellschaft, einst bewundert für Zusammenhalt und Gelassenheit, hat an Selbstvertrauen verloren. Der Autoritätsverlust der Institutionen, eine unter Labour unbekümmert hingenommene, wachsende Wohlstandslücke, eine zunehmend materialistische Elite aus Globetrottern, die zynisch verachtet wird, drei Millionen Einwanderer seit 1997, die das Land emotional und strukturell überfordert haben – das alles setzte zentrifugale Kräfte frei.

Der Wahlkampf mag Antworten auf einige Fragen geben, aber zu beneiden sind die Briten nicht um ihre Wahl. Die Tories versprechen einen neuen Start. Aber sie haben nicht nur Schwierigkeiten, ihr angeschlagenes Image als Partei des neoliberalen Laisser-faire und der Staatsverachtung abzulegen. Monatelang haben sie die Wähler mit harschen Sparparolen verschreckt und versprochen, das Defizit mit „früheren und tieferen“ Schnitten schneller abzubauen. Nun aber wollen sie von Labour bereits budgetierte Steuererhöhungen umkehren und versprechen Steuererleichterungen.

Auch wohlmeinende Wähler wissen nicht so genau, wo die Tories mit ihrer Kaleidoskop-Identität stehen. Von Browns Labour-Partei kommt aber ebenfalls nicht viel Klarheit. Vorwürfe an die Tories, sie würden die Wirtschaftserholung ruinieren, sind das beste, was Brown liefern kann. Er gibt sich als wettergestählter Kapitän der Volkswirtschaft, aber die Briten wissen zu gut, dass er Mitschuld an ihrem Debakel hat. Brown war ein Premier, der vor allem Geld verteilte. Er selbst wusste in seinen ganzen Jahren an der Spitze dieser Regierung nie so recht, ob er ein Politiker vom Schlage Blairs war, der Leistung und Ehrgeiz belohnen wollte, oder ein alter Labour-Linker. Solange Geld da war, blieben diese Widersprüche verborgen.

Dies wird der erbittertste Wahlkampf seit einer Generation – mit ungewissem Ausgang. Nicht nur, weil die Möglichkeit eines parlamentarischen Unentschiedens mit einem Premier ohne Mehrheit noch nie so groß war. Auch, weil der Weg nach der Wahl, trotz allen Wahlkampfgetöses, für die meisten Briten ein Rätsel bleibt.

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