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Das Foto zeigt rote, gelbe, grüne und blaue Legosteine.

© dpa

Koalitionsaussagen vor der Bundestagswahl: Träume jenseits von Realität und Wahrscheinlichkeit

Im Moment würde es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reichen. Die Parteien beeilen sich dennoch, Alternativen auszuschließen. Warum nur hat die SPD so eine Angst vor einer großen Koalition?

Zwölf Wochen vor der Bundestagswahl breitet sich in der deutschen Politik jenes zwanghafte Verhalten aus, das man dem armen Vogel Strauss nachsagt: Realitäten und Wahrscheinlichkeiten werden nicht zur Kenntnis genommen, weil man sich vor ihrem Eintreffen fürchtet. Diese Verweigerungshaltung wächst aus der Illusion, dass dann auch nicht geschehen werde, wovor man Angst hat. Während aber Zoologen klargestellt haben, dass der große afrikanische Laufvogel viel zu klug ist, angesichts einer Gefahr den Kopf in den Sand zu stecken, machen Politiker uns, dem Wahlvolk, unverdrossen weis, sie könnten sich bestimmte Konstellationen nach dem 22. September einfach verbitten.

In der SPD mehren sich die Stimmen gegen eine große Koalition

Philipp Rösler, der FDP-Vorsitzende, erklärt, eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und Liberalen sei „völlig ausgeschlossen“. Da bleibt kein interpretatorischer Spielraum. Nachdem SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück erst festgelegt hatte, „mit ihm“ gebe es keine große Koalition unter Angela Merkel (was auch sagt, dass sie ohne ihn denkbar wäre), mehren sich jetzt sozialdemokratische Stimmen, die ein Nein zu einem neuen Bündnis mit der Union für absolut unverhandelbar halten. Alles andere gefährde den Wiederaufbau der SPD, sei gefährlich, würde die Partei wieder, wie die Wahl 2009, weit zurückwerfen. Und in diesen Chor der sich selbst Gefangennehmenden passt, dass sowohl grünes als auch schwarzes Spitzenpersonal immer wieder fast beschwörend die Unterschiede zwischen den Zielen dieser politischen Gruppierungen aufzählt.

Die amtierende Koalition stürzt in den Umfragen ab

Das alles bildet weder Realität noch Wahrscheinlichkeiten ab. Bei der Frage nach wünschenswerten Koalitionen ist die große Koalition immer wieder die beliebteste Paarung. Das amtierende Bündnis von CDU, CSU und FDP hingegen, nach Meinung der Kanzlerin die beste Regierung seit der Wiedervereinigung, stürzte im öffentlichen Ansehen bei Umfragen bis auf sechs Prozent ab und fängt sich erst jetzt langsam wieder. Aber immer noch sagen 53 Prozent, es sei Zeit für einen Regierungswechsel. Da in der Kanzlerfrage Angela Merkel um bis zu 30 Prozentpunkte vor dem Herausforderer liegt, ist klar, welche Partei aus Sicht der Wähler die Ministersessel räumen sollte. Der Überdruss an den Liberalen ist groß.

Im Moment reicht es also weder für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb (was sich noch ändern kann) noch für Rot-Grün (was sich eher nicht ändern wird). Vorausgesetzt, es werfen nicht unvorhersehbare Ereignisse alle Wahrscheinlichkeiten über den Haufen, gibt es vier denkbare Koalitionen: den Fortbestand der jetzigen, Schwarz-Grün, die rot-grün-gelbe Ampel oder eine neuerliche große Koalition. Die schlechtesten Chancen in diesem Spiel der Vorfestlegungen haben SPD und FDP. Falls die Liberalen wieder ins Parlament einziehen, können sie nur zwischen der Union und der Opposition wählen, wenn sie beim Nein zur Ampel bleiben. Die SPD kann, bei ihrem Nein zu Merkel, nur auf die Ampel hoffen, denn eine rot-grüne Mehrheit ist unwahrscheinlich.

Bleibt eine Frage: Warum hat die SPD so viel Angst vor einer großen Koalition? Natürlich wirkt das Wahlergebnis von 2009 mit den beschämenden 23 Prozent der Zweitstimmen traumatisch bis heute nach. Aber die erste Koalition mit CDU/CSU, von 1966 bis 1969, und die Wahlen von 1969 und später 1972 haben gezeigt, dass ein Juniorpartner SPD aus einem solchen Bündnis gestärkt hervorgehen kann. Nun kann man argumentieren, 1969 und noch mehr 1972 mit 45,8 Prozent habe die SPD bei einer bis heute unübertroffenen Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent in einer Ausnahmesituation triumphiert. Dass die Wahlbeteiligung ein entscheidender Faktor ist, hat Peer Steinbrück erkannt. Aber etwas war 1969 und 1972 anders: Die SPD hatte mit Willy Brandt den alles überstrahlenden Spitzenkandidaten und mit der Ostpolitik ein bewegendes Thema. Der strahlende Kandidat fehlte der SPD 2009, er fehlt ihr jetzt. Und heute hat sie noch nicht einmal ein Thema, bei dem sie dominiert. Nur deshalb steckt die SPD angesichts einer großen Koalition den Kopf in den Sand.

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