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Barbara John war von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

© TSP

Ein Zwischenruf zur Einwanderung: Sie wollen nicht teilen

Unser kleines, aber wirtschaftlich noch starkes Land wird sich auf dem globalen Markt nur durch wachsende Einwanderung behaupten können.

Angst essen Seele auf“ hieß der 1973 gedrehte Film von Fassbinder, in dem vordergründig die Liebesbeziehung zwischen der älteren deutschen Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) und dem jungen Gastarbeiter Ali (Hedi Ben Salem) aus Marokko im Mittelpunkt steht. Doch der Film erzählt mehr: Es geht um die Bewertung von Ausländern als den grundsätzlich Fremden und um die Unfähigkeit, ihnen zu vertrauen. Der Filmtitel gibt einen Ausspruch Alis wieder, der sich unverstanden und gedemütigt fühlt. Das war vor 40 Jahren. Heute – die Zahl der Einwanderer hat sich vervierfacht (auf sechzehn Millionen) – beginnen Ängste die deutsche Seele anzuknabbern. Woran das festzumachen ist? Ältere deutsche Männer (Sarrazin, geb.1945, Buschkowsky, 1948) erklären uns in vierhundertseitigen Jammerarien, dass die Einwanderung für Deutschland im Großen und Ganzen ein Verlustgeschäft ist an Intelligenz, an Kultur, an Identität.

Aktuell macht sich die Verlustangst gerade in der Stadt Kassel breit, weil die Stadtregierung beschlossen hat, eine Straßenbahnhaltestelle in Halitplatz/Philipp-Scheidemann- Haus umzubenennen. Damit soll das Gedenken an Halit Yozgat wachgehalten werden, der 2006, ganz in der Nähe, das neunte Todesopfer der NSU-Mörder wurde. Ismail Yozgat, sein Vater, will von Deutschland nur dieses Zeichen, sonst gar nichts. Doch für Hunderte von Internetschreibern scheint mit dieser Namensänderung eine Welt zusammenzubrechen. Sie entrüsten sich aggressiv, sehen sich als Opfer von Überfremdung, haben das Gefühl, als Deutsche nur Menschen zweiter Klasse zu sein, beklagen den Verlust von deutscher Identität und Souveränität. Die Haltestellen-Umbenennung ist dafür der Anlass, aber nicht der Grund. Der liegt tiefer: Es geht ums Nichtteilenwollen mit den Einwanderern, in diesem Fall um die Kontrolle über den öffentlichen Raum. Das sind Haltungen, die in vielen von uns stecken. So was lässt sich zwar politisch missbrauchen von rechts, aber es ist nicht politisch, es ist neurotisch. Wie töricht! Unser kleines, aber wirtschaftlich noch starkes Land wird sich auf dem globalen Markt nur behaupten können durch wachsende Einwanderung, und Wertschätzung behalten durch Vertrauen zwischen Einheimischen und Einwanderern.

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