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Russlands Präsident Wladimir Putin während der Eröffnungsfeier der TurkStream-Pipeline in Istanbul.

© REUTERS/Umit Bektas

Russlands Wirtschafts-Strohfeuer: Es lässt sich nicht verbergen, dass Putin die Optionen ausgehen

Nach einem Jahr Krieg steht die russische Wirtschaft besser da, als von den meisten Ökonomen erwartet. Doch die Zeichen des Verfalls werden immer sichtbarer.

Ein Gastbeitrag von Janis Kluge

Russlands Wirtschaft ist im abgelaufenen Jahr deutlich weniger eingebrochen als erwartet. Zwar täuscht der Eindruck des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Gesamtjahr 2022, das nur um 2,1 Prozent gefallen ist, denn die Sanktionen fielen erst im zweiten Quartal wirklich ins Gewicht.

Am Jahresende war die russische Wirtschaftsleistung rund fünf Prozent geringer als im Vorjahr. Aber es ist auch deutlich geworden, dass es nicht leicht ist, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen.

Der Grund für die russische Resilienz liegt in den strukturellen Überschüssen in der Handelsbilanz und im Haushalt. Ressourcenreichtum und eine disziplinierte Haushaltspolitik machen es schwierig, den Kreml kurzfristig auszuhungern.

Hinzu kamen im letzten Jahr die Rohstoffpreise, die bereits vor der russischen Invasion sehr hoch waren. Weil der Rohstoffexport zunächst fast uneingeschränkt weiterlief, war Russland auch nicht auf die vom Westen eigefrorenen Devisenreserven angewiesen.

Dass Putin die wirtschaftliche Steuerung des Landes seinen fachlich kompetenten Technokraten anvertraut, hat sich auch in dieser Krise für den Kreml bewährt. Durch rasches und entschiedenes Eingreifen am Anfang der Krise gelang es der Zentralbank, eine Finanzkrise mit Rubel-Crash abzuwehren.

Statt alle westlichen Investoren aus dem Land zu jagen und Massenenteignungen durchzuführen, versuchte der Kreml, sie im Land zu halten. Zwar haben die wichtigsten Großinvestoren das Land verlassen, was vor allem den Automobilbau getroffen hat. Viele international weniger exponierte Unternehmen hoffen aber weiterhin, die Krise aussitzen zu können.

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Auch Russlands Importe haben sich vom ersten Sanktionsschock erholt. Dabei gelangen inzwischen viele westliche Konsumgüter über Drittstaaten ins Land, auch wenn die Hersteller den Markt nicht weiter bedienen wollen.

China ist zu Russlands wichtigstem Versorger aufgestiegen. China ist das einzige verbliebene große Industrieland, das noch weitgehend uneingeschränkt mit Russland Handel treibt. Die Importe aus China brachen zwar nach Einführung der Sanktionen kurzfristig auf die Hälfte ein, erholten sich danach aber sehr rasch und erklommen zum Jahreswechsel neue Rekorde.

Der Trend für die russische Wirtschaft zeigt klar nach unten

Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sanktionen Russland sehr hart treffen. Der Verlust der westlichen Handelspartner drängt Russland in einen Strukturwandel, an dessen Ende das Land deutlich ärmer sein wird.

Die russischen Unternehmen sind aktuell gezwungen, viel zu investieren, um ihre Lieferketten und Produktionsanlagen am Laufen zu halten. Diese Investitionen steigern das Bruttoinlandsprodukt kurzfristig, führen aber nicht zu höherer Produktivität im Vergleich zur Vorkriegszeit.

Die Chefin der russischen Zentralbank Elvira Nabiullina ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die russische Wirtschaft zu Beginn des Kriegs nicht kollabierte.

© Imago/Itar-Tass/Sergei Bobylev

Auch der Krieg überdeckt den längerfristig negativen Trend: Die stark gestiegenen Haushaltsausgaben (23,7 Billionen Rubel waren 2022 geplant, ausgegeben wurden 31,1 Billionen) fachen die wirtschaftliche Aktivität an.

Die Produktion in allen kriegsrelevanten Bereichen ist deutlich angestiegen, von Waffen, über Uniformen und Stiefel, bis hin zu Dosenfleisch. Hinter diesem wirtschaftlichen Strohfeuer steht aber keine nachhaltige Entwicklung.

Im Jahr 2022 konnte sich der russische Haushalt die hohen Mehrausgaben gut leisten: Der Gasexport nach Europa brachte einen Rekordgewinn. Auch der Ölexport blieb ertragreich. Inzwischen hat sich das Blatt aber gewendet.

Putin gehen die Optionen aus

Russlands Entscheidung, die „Gaswaffe“ gegen Europa einzusetzen, kommt das Land nun mit dem Verlust des lukrativen EU-Marktes teuer zu stehen. Auch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft haben stark abgenommen, seit das EU-Embargo im Dezember in Kraft getreten ist.

Die Folgen sind in den letzten Wochen sichtbar geworden: höhere Haushaltsdefizite, ein schwächerer Rubel, ansteigende Inflation und kaum noch Überschüsse im Handel.

Der Kreml ist damit noch lange nicht im wirtschaftlichen Schachmatt. Dafür müsste der Ölexport dauerhaft weiter sinken, beispielsweise durch härtere Sanktionen des Westens. Es bleibt dem russischen Finanzministerium auch noch ein kleiner Rest im Nationalen Wohlfahrtsfonds (ca. vier Prozent des BIP).

Durch das Streichen nicht kriegsentscheidender Ausgaben und Neuverschuldung wird Russland auch in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht in eine Haushaltskrise schlittern.

Trotzdem werden die Sanktionen zu einem wachsenden Problem für Putin. Das liegt daran, dass der Überfall auf die Ukraine zu einem langwierigen Abnutzungskrieg geworden ist. Im Verlauf eines solchen Krieges wird es immer wichtiger, wie viele Mittel der Kreml für die Kriegsführung mobilisieren kann und zu welchem politischen Preis dies gelingt.

Der russische Finanzminister warnte schon im Sommer letzten Jahres, der Krieg verschlinge gigantische Ressourcen. Zwischen der Gefahr einer hohen Inflation auf der einen Seite und Steuererhöhungen oder Rentenkürzungen auf der anderen Seite werden dem Kreml letztlich die guten Optionen ausgehen, den Krieg mit der gegenwärtigen Intensität fortzusetzen.

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