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Großbritannien: Rede für den Bildschirm

Beim Labour-Parteitag in Manchester muss der Premier Gordon Brown das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen, als Parteichef muss er den Richtungsstreit zwischen Linken und Modernisierern eindämmen.

Von Markus Hesselmann

Große Parteitagsreden richten sich immer an zwei Zuhörergruppen, die sich zuweilen stark unterscheiden: die Delegierten im Saal und die Wähler am Bildschirm. Bei Gordon Browns Rede auf dem Labour-Parteitag in Manchester war dieser Unterschied besonders wichtig. Der Premierminister Brown musste das Vertrauen der Wähler in Zeiten der Krise zurückgewinnen. Der Parteichef Brown musste potenzielle Putschisten abschrecken und Labours Richtungsstreit eindämmen.

Den Wählern diente sich Brown als Wirtschaftsexperte an, der allein die Erfahrung habe, sie durch die Krise zu führen. Nach der Stärke des Beifalls zu urteilen, scheinen die Putschgefahren zunächst gebannt. Doch das wichtigste Dilemma bleibt: Trotz aller Schlagzeilen der letzten Tage über parteiinterne Attacken gegen Brown ist der Streit zwischen klassischen Linken und Modernisierern für ihn die größere Herausforderung.

Ein Streit, der die gesamte europäische Linke erfasst hat. „Die Achtundsechziger haben weder neue Ideen noch neue Führer hervorgebracht“, schreibt Sunder Katwala, Generalsekretär des labournahen Thinktanks „Fabian Society“, in „Newsweek“ mit Blick auf die aktuelle Lage der Linken in Europa. Deren Zukunft liege nahe der Mitte und nicht weiter außen. Das ist vor allem in Großbritannien so. Zwar nutzt die Parteilinke die derzeitige Vertrauenskrise, um eine Rückbesinnung auf klassische Labourpositionen – und damit auf die klassische Arbeiterklientel – zu fordern wie stärkere Marktregulierung, höhere Steuern für Einkommensstarke sowie höhere Mindestlöhne. Doch das deckt sich nicht mit den Überzeugungen großer Teile der Wählerschaft auf der Insel. Eine Studie der Deutsch-Britischen Stiftung bekräftigt, dass das thatcheristische Credo von Deregulierung und Wettbewerb in Großbritannien tief im Mainstream verankert ist. Selbst die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise dürfte diese über zwei Jahrzehnte verfestigten Grundüberzeugungen nicht so einfach wieder ändern.

Dass Brown das weiß, zeigt die parteiinterne Auseinandersetzung um eine Steuer auf die Gewinne von Energieunternehmen. Brown lehnte ab, obwohl er seine parteiinternen linken Kritiker und kurzfristig auch Wähler, die unter Preiserhöhungen leiden, hätte besänftigen können. Wenn Brown nach links rückt, verliert er die Wähler der Mitte, vor allem die der rechten Mitte, die Tony Blair als Regierungschef – mit Hilfe des Schatzkanzlers Brown – mit einer Politik des Ausgleichs zwischen Wettbewerb und einer gewissen sozialen Sicherheit binden konnte. Diese große politische und wirtschaftliche Mittelklasse läuft derzeit wieder zu den Konservativen über.

„Fairness“ war ein Schlüsselwort der Rede Browns. Ein Begriff, der anders klingt als das deutsche Schlagwort „Gerechtigkeit“, das meistens gleichbedeutend ist mit dem Streben nach sozialer Gleichheit. Den meisten Briten, die gestern an den Bildschirmen saßen, geht es nicht um Gleichheit. Ihnen geht es um Chancengleichheit – auch wenn viele Delegierte im Saal in Manchester das anders sehen.

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