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Beerdigung von einem der Opfer des Raketeneinschlags auf polnischem Gebiet

© Foto: dpa/Uncredited/AP

Tödlicher Einschlag in Polen : Russische Raketen auf Nato-Gebiet sind nur eine Frage der Zeit

Als Raketen in Ostpolen zwei Menschen töteten, reagierten Polen und Deutsche ähnlich betroffen. Bei der Frage, wie es nun weitergehen soll, ziehen unsere Nachbarn einen radikaleren Schluss.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In existenzieller Gefahr zeigt sich die wahre Natur von Menschen. Oft erweisen sich dann die stereotypen Erzählungen, wie „die Anderen“ so sind, als Vorurteile.

Der Raketeneinschlag in Polen und die Reaktionen darauf hatten solch einen aufklärerischen Effekt. Polen haben ein Russlandtrauma und fordern harte Kante gegen Moskau? Deutsche sind durch die Entspannungspolitik geprägt und zum Großteil Pazifisten?

Als im ostpolnischen Dorf Przewodów nahe der Grenze zur Ukraine Raketenteile einschlugen und zwei Menschen töteten, reagierten Polen und Deutsche sehr ähnlich. Sie waren betroffen über die ersten Opfer, die als direkte Kriegsfolge auf Nato-Gebiet gestorben sind. Sie spürten die Angst, in den Krieg hineingezogen zu werden; manche fürchteten gar, nun folge ein Weltkrieg.

Und beide Gesellschaften reagierten erleichtert, als sich abzeichnete, dass dies kein gezielter russischer Angriff auf Polen war. Die Regierung in Warschau vermied scharfe Töne und trat so besonnen auf, wie die Deutschen das von Angela Merkel und Olaf Scholz kennen.

Was muss sich ändern? Für Polen alles, für Deutsche nichts

Bald brach die Einmütigkeit jedoch wieder auf – bei der Frage, was aus dem Einschnitt folgt. Deutsche tendieren zur Antwort: nichts. Wenn eine ukrainische Abwehrrakete der Auslöser war, ist das kein Grund, den Umgang mit dem Krieg zu ändern.

Kiew erhält bereits Luftabwehr und andere Waffen. Mehr sollte man nicht tun, um Wladimir Putin nicht zu gefährlichen Handlungen zu treiben.

Viele Polen sehen es anders. Dass ein Geschoss irgendwann auf Nato-Gebiet einschlägt, war nur eine Frage der Zeit. Das ist das Risiko, wenn der russische Präsident Putin das militärische Vorgehen nicht auf die Kampfgebiete begrenzt, sondern die ganze Ukraine mit – zum Teil nicht sehr treffgenauen – Raketen beschießt, um Kraftwerke und andere lebenswichtige Infrastruktur zu zerstören und die Zivilbevölkerung zu terrorisieren.

Viele Ziele der Russen liegen nahe an Nato-Gebiet

Diese „Strategie der zerstörten Erde“ ist ein Kriegsverbrechen und macht es fast zwangsläufig, dass Sprengköpfe, die auf ukrainische Großstädte nahe dem Nato-Gebiet wie Uschgorod, Tschernowitz oder Lviv zielen, „drüben“ einschlagen: in Rumänien, Ungarn, der Slowakei oder Polen. Ob ukrainische Abwehr- oder russische Angriffsrakete, macht aus dieser Perspektive wenig Unterschied.

Die Gefahr, dass ein Nato-Land früher oder später in den Krieg hineingezogen wird, ergibt sich aus der russischen Kriegsführung. Also muss der Westen mehr tun, um den Raketenhagel auf die gesamte Ukraine bis an die Grenzen zur Nato zu stoppen. Denn wer kann garantieren, dass es beim nächsten Mal bei nur zwei Toten und der Erleichterung darüber bleibt, dass es kein gezielter russischer Angriff war?

Die unterschiedlichen Antworten auf die Frage, welche Lehren zu ziehen sind, haben wenig mit den Stereotypen zu tun, die Polen und Deutsche übereinander erzählen. Sie ergeben sich aus handfesten Unterschieden.

Polen hat seine ersten Toten als Folge der Kämpfe. Die Polen leben in unmittelbarer Nähe zur Gefahr, Deutsche viel weiter weg.

Wenn beide wollen, dass der Krieg sich nicht ausweitet, muss auch Deutschland überzeugende Antworten auf die berechtigte Frage finden: Was kann die Ukraine, was kann der Westen zusätzlich tun, damit Russland den Raketenkrieg auf das Kampfgebiet begrenzt? Sonst kehrt die Angst, dass die Nato in den Krieg hineingezogen wird, bald zurück.

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