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Daten auf Vorrat speichern: Tut das nicht jeder?

© dpa

Streit um Vorratsdaten: Orwellness-Welt

Die Speicherung von Telekommunikationsverbindungen ohne Zugriff auf die Inhalte müsste für sich noch kein Problem sein. Die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens etwa ist ohne die Überprüfung solcher Kontakte kaum möglich. Warum ein bisschen Überwachung durchaus sein soll.

Natürlich ist das Wort schon grausig: Vorratsdatenspeicherung. Rein begrifflich ließe sich auf den Vorrat verzichten. Aber in Zeiten des NSA-Skandals klingt auch der Rest, die Datenspeicherung, noch wie der Widerhall aus einer Vorratskammer des Schreckens. Und folglich haben viele Kommentatoren in der vergangenen Woche das Urteil des Europäischen Gerichtshofs freudig begrüßt. Die Luxemburger Richter hatten eine EU-Richtlinie für ungültig erklärt, durch die Telekommunikationsunternehmen pauschal verpflichtet wurden, die Verbindungsdaten ihrer Telefon- und E-Mailkunden sowie alle Internetkontakte bis zu zwei Jahre lang zu registrieren.

Pauschalem Einhalt zu gebieten, wirkt allemal vernünftig. Auch ist das Unbehagen der Bürger gegenüber umfassender telebürokratischer Überwachung verständlich. Doch ganz ohne Datenspeicherung geht es nicht. Schon für jede Telefonrechnung ist sie nötig, sonst könnten auch Kunden überhöhte Summen für zweifelhafte Dienstleistungen nicht nachträglich kontrollieren und anfechten.

Nein, tatsächlich geht es darum, von staatlichen Stellen nicht ohne justiziablen Grund und richterliche Anordnung generell ausgespäht und abgehört zu werden. Also nicht, wie in einer Diktatur, als potenzieller Staatsfeind und Krimineller behandelt zu werden. Unabhängig von Fristen muss der Zugriff auf persönliche Daten rechtsstaatlich beschränkt bleiben. Über eben diese Schranken setzen sich amerikanische und britische Geheimdienste (und die in Russland und China sowieso) ständig hinweg. Das aber ist ein anderer Fall.

Die Speicherung von Telekommunikationsverbindungen ohne Zugriff auf die Inhalte von Telefonaten, Mails und im Internet aufgerufener Webseiten müsste für sich noch kein Problem sein. Denn beispielsweise die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens – vulgo: Mafia – ist ohne die mögliche Überprüfung der telekommunikativen Kontakte heute kaum noch möglich.

Gerade haben ARD und „Spiegel“ wieder dokumentiert, wie stark die Hauptzweige allein nur der italienischen Mafia (Camorra, ’Ndrangheta, Cosa Nostra, dazu die apulische Sacra Corona) Deutschland infiltriert haben. Ermittler rechnen mit mehr als 1200 Mafia-Mitgliedern und Unterstützern zwischen Bodensee und Berlin. Unabhängig von Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung wird der volkswirtschaftliche Schaden durch mafiose Schwarzarbeit, Produktfälschung, Geldwäsche hierzulande auf bis zu 10 Milliarden Euro geschätzt.

Seit Jahren warnt beispielsweise der von der Camorra verfolgte neapolitanische Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano, dass Deutschland das begehrteste ausländische Geschäftsfeld und zugleich Rückzuggebiet der Mafia sei. Und ebenso wie Saviano beklagen italienische Staatsanwälte, Ermittlungsrichter und Kriminalbeamte, die im Kampf gegen die Mafia Tag für Tag buchstäblich ihr Leben riskieren, dass deutsche Behörden zu zögerlich seien, die Kommunikation der Mafiosi wirksam zu überwachen.

Früher schützte sich die Mafia durch das mit Folter und Mord erzwungene Gesetz des Schweigens (die „Omertà“). Auch die Bosse besprachen ihre Geschäfte und gaben ihre Befehle nur direkt, ohne schriftliche und andere Spuren. Inzwischen aber ist das Organisierte Verbrechen einer der größten Global Player – und kann so auf die digitalen elektronischen Kommunikationswege nicht mehr verzichten.

Den Vorwurf, in Deutschland würden von den Strafverfolgungsbehörden zu oft und zu leichtfertig Daten angezapft und Bürger überwacht, kann man schwerlich erheben. Und wenn der Verfassungsschutz seine V-Leute bei den Neonazis in ominösen Grau- oder Braunzonen operieren lässt, ist das womöglich anstößiger, rechtlich zweifelhafter und zudem wirkungsloser als eine stärkere Überwachung der Telekommunikation im extremen Milieu. Von Orwell redet dann auch keiner mehr.

Viel skandalöser als die staatliche Nutzung der Daten ist längst die privatwirtschaftliche Ausspähung und konsumentenfreundlich getarnte Überwachung. Wer je eine Wohnung im Internet, ein Buch, Hotel oder Mietwagen gesucht hat, wird später mit ähnlichen Angeboten auf völlig anderen Websites und selbst bei der Nutzung seriöser Online-Medien verfolgt, weil die Daten personen- und ortsbezogen ungefragt und kommerzialisiert weitergereicht werden. Provider und Suchmaschinen haben mich immer schon auf dem Schirm, bevor ich die erste Taste drücke. Orwellness-Welt.

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