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Dr. Wewetzer: Neunfacher Schutz

Etwa die Hälfte aller Mädchen lässt sich gegen HPV, den Erreger von Gebärmutterkrebs, impfen. Schade. Denn eigentlich ist die Vorsorge eine Erfolgsgeschichte.

So richtig gut angesehen ist die Impfung gegen Papillomviren (HPV) in Deutschland nicht. Während gegen Masern immerhin um die 90 Prozent der Kinder geimpft sind (und selbst das gilt als zu niedrig), liegt die Impfrate bei HPV, dem Erreger von Gebärmutterhalskrebs, je nach Schätzung nur zwischen 40 und 60 Prozent der Mädchen. Das ist bedauerlich, denn die 2006 eingeführte Vorsorge ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Gerüchte über schwerwiegende Komplikationen, nicht unerwartet bei einem neuen Impfstoff, bewahrheiteten sich nicht.

Die Impfung, empfohlen für Mädchen im Alter von neun bis 14, wappnet zuverlässig vor Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs, die durch die HPV-Typen 16 und 18 ausgelöst werden. HPV-16 und -18 sind die Ursache von 70 Prozent aller Fälle dieser Erkrankung. Ein neuer Impfstoff verleiht nun einen mutmaßlich 90-prozentigen Schutz, da er gegen eine Reihe weiterer krebserregender HPV-Varianten schützt. Die Impfung richtet sich gegen neun HPV-Typen, ihr voraussichtlicher Name lautet daher „Gardasil 9“. Vermutlich kommt sie Anfang 2016 bei uns auf den Markt.

Warum schreibe ich „mutmaßlicher“ Schutz gegen Krebs? Das liegt ganz einfach daran, dass es an die 20 Jahre dauern kann, bis nach einer Infektion mit HPV Krebs ausbricht. Die Impfung ist zu neu, um den Schutzeffekt bereits beobachten zu können. Aber mehrere Indizien sprechen dafür, dass er sich bewahrheiten wird: Der Zusammenhang zwischen einem Befall mit HPV und Gebärmutterhalskrebs ist bewiesen, zudem schützt der Impfstoff gegen die HPV-Infektion und gegen Krebs- Vorstufen, die auf HPV zurückgehen.

Mehr und mehr zeigt sich außerdem, dass das sexuell übertragbare Virus auch bei anderen Tumoren im Spiel ist. Die Liste ist lang: Vulva, Scheide, Penis, Anus, Mund und Rachen sind anfällig für HPV-bedingten Krebs. Es ist wahrscheinlich, dass die Impfung auch diesen Geschwulstformen vorbeugt.

„Dieser Impfstoff kann die Mehrheit der Fälle von Gebärmutterhalskrebs buchstäblich ausmerzen, vorausgesetzt, er findet weite Verbreitung und wird richtig eingesetzt“, sagt der Gynäkologe Warner Huh von der Universität Alabama. Gemeinsam mit anderen Forschern hat Huh den neuen Neunfach-Impfstoff getestet. An der Studie, die erfolgreich verlief, nahmen rund 14 000 Frauen teil.

Es ist naheliegend zu fragen, ob der Körper nicht überfordert ist, wenn er gleich gegen neun Virustypen geimpft wird. Die Wissenschaftler fanden dafür keine Anhaltspunkte. Lediglich eine gelegentlich auftretende Schwellung an der Einstichstelle war etwas häufiger bei dem Neunfach- im Vergleich zum herkömmlichen Vierfach-Impfstoff. Das Immunsystem verfügt über erstaunliche Kapazitäten. Der Kinderarzt Paul Offit von der Universität Pennsylvania hat einmal ausgerechnet, dass es möglich wäre, gleichzeitig gegen 10 000 Krankheitserreger zu impfen. Selbst das würde die Körperabwehr noch verkraften. So viele verschiedene Spielarten hat nicht einmal HPV.

Unser Kolumnist leitet das Ressort Wissenschaft und schreibt hier jeden ersten Sonntag im Monat. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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