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Jost Müller-Neuhof

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Mortality-TV

Jost Müller-Neuhof über die britische Fernsehdokumentation "Right to die"

Ein Lehrer bis in den Tod ist er geblieben, sagt seine Ehefrau über Craig Ewert, den britischen Informatikprofessor, der sich in Zürich filmen ließ, wie er sich das Leben nahm. Der Streit um Sterbehilfe hat einen neuen Höhepunkt erklommen, jedenfalls als Medienereignis. Reality-TV war gestern, jetzt kommt Mortality-TV: Nachdem in ungezählten Big-Brother-Varianten erzählt wurde, wie Leben ist, wird nun geschildert, wie Sterben sein sollte: schmerzfrei, schnell, selbstbestimmt. Ewert wird nicht der einzige sein, es werden weitere Sterbelehrer kommen, die Staat und Gesetze beschuldigen, sie in ihrer Freiheit zu beschneiden. Und sie werden uns vormachen, wie man sich wehren kann.

Doch was letztlich geschieht, ist dies: Der Tod wird konfektioniert und perfektioniert, so wie vielfach auch das Leben. Er wird in ein Format gepresst. Bruch- und nahtlose Biographien, ohne Schwäche, ohne Zweifel, voller Entschlusskraft des Ichs und vorzeigbar bis zum Ende. Denn bei aller Tragik: Eine Empfehlung für die anderen soll es schon sein, wie Craig Ewert die Konsequenzen zieht. Er und seine Familie sind stolz darauf.

Darf man solche Bildungsangebote ablehnen? Man darf. Bei allem Respekt vor dem Handeln eines todkranken Verzweifelten oder der ernsten und relevanten Diskussion um Sterbehilfe: Wer seinen Freitod ausstellt, wie Ewert es getan hat, ist kein Vorkämpfer einer liberalen Gesellschaft, sondern ein Volkserzieher. Als letzte Geste im Diesseits hat er den erhobenen Zeigefinger gewählt. Ausgerechnet den letzten Weg will er uns weisen, jenen, dem man sich wirklich selbst überlassen möchte - sei es als weltliches oder gottgegebenes Schicksal oder, wie bei Ewert, durch die eigene Hand, die von Ärzten oder von Angehörigen. Der Tod braucht keine öffentlichen Vorbilder. Mortality-TV ist, wenn überhaupt, Privatfernsehen.

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