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Was WISSEN schafft: Mehr Nachteile als Nutzen

Die saisonale Grippeimpfung ist ein Milliardengeschäft. Kein Wunder, dass die Pharmaindustrie eine geringe Motivation hat, bessere Impfstoffe zu entwickeln.

Alle Jahre wieder kommt er auf die Erde nieder: Der Aufruf zur Grippeimpfung gehört zur Vorweihnachtszeit wie Plätzchenbacken und Verkehrschaos. Die Influenza, so betet das Robert-Koch-Institut unermüdlich vor, tötet alleine in Deutschland bis zu 15 000 Menschen pro Jahr. Deshalb sollen sich insbesondere Personen über 60 Jahre, Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen und Menschen mit chronischen Krankheiten jährlich pieksen lassen.

Da verwundert es nicht, dass eine Panne bei Novartis das Impfvolk in Aufregung versetzte: Im Herstellungsprozess waren bei einer Komponente der Impfstoffe Begripal und Fluad verdächtige Ausflockungen aufgetreten. Daraufhin widerrief das für die Zulassung verantwortliche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am 25. Oktober die Freigabe einiger hunderttausend Impfstoffdosen, die angeblich aus der verdächtigen Vorstufe hergestellt wurden. In Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg hatten die Krankenkassen jedoch Exklusivverträge mit Novartis geschlossen. Dadurch kam es zeitweise zu Engpässen, in denen nicht einmal Alte und besonders Gefährdete geimpft werden konnten.

Inzwischen ist der Engpass beseitigt, die betroffenen Krankenkassen bezahlen ausnahmsweise auch Impfstoffe anderer Hersteller. Novartis und die Gesundheitsbehörden rühren wieder kräftig die Werbetrommel für die Grippeimpfung – dabei ist noch vollkommen unklar, wie es zu dem Vorfall kommen konnte.

Novartis stellt seine Impfstoffe für den europäischen Markt im italienischen Siena her. Da bei Impfstoffen – im Gegensatz zu normalen Medikamenten – jede einzelne Charge freigegeben werden muss, schickte Novartis Proben an die italienische Arzneimittelbehörde Aifa (Agenzia Italiana del Farmaco). Auf Grundlage der Aifa- Prüfung erteilte das PEI, wie es nach den EU-Regularien vorgesehen ist, die Zulassung für den deutschen Markt. Wieso haben also die Kontrolleure der Aifa von den Ausflockungen nichts bemerkt?

Die Aifa und Novartis erklärten am Freitag so: Das Problem habe nur einen kleinen Teil der Produktion betroffen, der „noch nicht in den Vertrieb gelangt“ sei; alle anderen Chargen seien bei der Überprüfung unauffällig gewesen. Italien, Kanada, Schweiz und Österreich haben den Verkaufsstopp deshalb wieder aufgehoben. Wie die aus der mangelhaften Vorstufe hergestellten Impfstoffe in deutsche Apotheken gelangen konnten, lässt die Aifa jedoch offen.

Die Vorsichtsmaßnahme des PEI war in jedem Fall richtig: Bei einem Impfstoff, der massenweise an Gesunde verabreicht wird, sind Nebenwirkungen nicht zu verantworten – insbesondere bei der Grippeimpfung, deren Nutzen einige Fachleute schon länger bezweifeln.

Eine neue Studie aus den USA spricht sogar dafür, dass die saisonale Grippeimpfung mehr Nachteile als Nutzen hat. Ein hochkarätiges Team der Universität von Minnesota analysierte sämtliche Wirksamkeitsstudien, die seit Einführung der Influenza-Impfung in den 1950er Jahren durchgeführt wurden. Das Ergebnis ist vernichtend: Für die Altersgruppen bis 17 Jahre und ab 65 Jahre gibt es so gut wie keinen nachgewiesenen Schutz durch die saisonale Impfung. Bei den Erwachsenen (18-64 Jahre) liegt die Wirksamkeit, je nach Saison, bei höchstens 60 Prozent. Gerade für Alte und Kleinkinder, bei denen sie besonders empfohlen wird, bringt die Impfung demnach nichts. Auch die Komplikationsrate und die Zahl der Krankenhauseinweisungen werden durch die Impfung nicht beeinflusst. Michael Osterholm, einer der renommiertesten Virologen und Impfbefürworter der USA, wurde daraufhin vom Paulus zum Saulus: „Wir haben die Grippeimpfung maßlos überschätzt, es geht nur noch um Verkaufen und Profit.“

Die saisonale Grippeimpfung, die jedes Jahr wiederholt werden muss, ist ein Milliardengeschäft. Dass die Pharmaindustrie eine geringe Motivation hat, bessere Impfstoffe zu entwickeln (die womöglich ein Leben lang halten), liegt auf der Hand. Es ist höchste Zeit, die Forschung an Alternativen für die veralteten Influenza-Impfstoffe voranzutreiben.

Der Autor ist Mikrobiologe

und Direktor des Instituts für

Biologische Sicherheitsforschung

in Halle.Foto: J. Peyer

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