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Berlingefühl verloren: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

© dpa

Tempelhofer Feld: Klaus Wowereit lernt seine Berliner neu kennen

Klaus Wowereit hat lange für sich in Anspruch genommen, er wisse, wie die Berliner ticken. Nach dem Volksentscheid zur Bebauung am Tempelhofer Feld ist das vorbei.

Er ist ja selbst einer: Aufgewachsen in Lichtenrade, dem südlichsten Ortsteil Tempelhofs, Rechtsreferendar am Amtsgericht Tempelhof- Kreuzberg, Bezirksverordneter in Tempelhof, Stadtrat für Volksbildung und Kultur im Bezirksamt Tempelhof. Fast immer hat er, wenn es um Gemütsfragen ging, richtig gelegen. Er konnte sich sozusagen auf sich verlassen. Bis jetzt. Doch damit ist es erstmal vorbei. Wowereits Sensorium für die Stimmung der Stadt versagt erstmals im großen Stil, ausgerechnet – in Tempelhof.

Die Volksinitiative für ein freies Feld mitten in der Stadt war keine gegen Wowereit, aber das Ergebnis, das so überaus klar und deutlich ist, lässt sich ohne Wowereit nicht verstehen: Der Regierende Bürgermeister kann sich nicht mehr auf sich verlassen, und immer mehr Menschen in dieser Stadt wollen sich nicht mehr auf ihn verlassen, nicht auf ihn und auch nicht auf seinen Senat, jedenfalls nicht allein.

Es wächst das Misstrauen, ob der rasante Wandel Berlins noch beherrscht wird von der Politik, und es wächst der Verdacht, dass sich die Politik von diesem Wandel beherrschen lässt. In der Ablehnung der Senatspläne für Tempelhof steckt ein zunehmendes Unwohlsein weiter Teile Berlins darüber, dass es überall immer enger wird und schneller zugeht.

Dass alles auch immer teurer wird, vor allem Wohnungen, weil es nicht genug davon gibt, spielt also offenbar nicht die einzige, wahrscheinlich nicht mal die wichtigste Rolle. Das Berlin-Gefühl, dessentwegen so viele Menschen gerne hier hier leben und immer mehr gerne herkommen, spielt sich eben nicht hinter den eigenen vier Wänden ab.

Der Senat hat das nicht verstanden. Er sah den Bau von Wohnungen auf dem alten Flughafengelände als die Lösung des vermeintlich drängendsten Problems an, der Wohnungsnot; doch er übersah dabei, dass die Menschen auch deshalb lieber hier leben wollen als anderswo, weil Berlin so besonders ist. Es gibt eben keine andere Stadt, die mittendrin eine solche Freifläche hat. Deshalb zielte auch der Vorwurf des Senats, die Unterstützer der Initiative verfolgten Partikularinteressen, weitgehend ins Leere.

Ein „Sieg gegen die Politik des Ausverkaufs" ist es nicht

Der Widerspruch, zugleich billigen Wohnraum in der Innenstadt zu fordern und sich gegen die Bebauung von Freiflächen zu wehren, wie es viele der Aktivisten tun, bleibt dennoch schwer erträglich. Ein „Sieg gegen die Politik des Ausverkaufs von Berlin“, wie es gestern etwas großspurig hieß, ist die Abstimmung jedenfalls nicht. Aber ein deutliches Warnsignal, dass immer mehr derjenigen, die hier schon leben, nicht alles mit sich machen lassen wollen für die Leute, die da noch kommen.

Für den Senat bedeutet die Niederlage in Tempelhof, dass er den mühsamen Weg der Vermittlung weiter gehen muss. Bisher hat dies in der Wohnungsfrage vor allem Michael Müller auf sich genommen, mit viel Einsatz und mäßigem Erfolg. Aber die Schuld am Scheitern trägt nicht er allein. Die Wucht trifft den gesamten Senat, und an der Spitze Klaus Wowereit. Er lernt sie gerade neu kennen, seine Berliner. Ob er sie auch versteht? Die Anti-Wowereit-Kampagne, die seine Abwahl zum Ziel hat, kommt trotz schlechter Umfragewerte für den Regierenden jedenfalls überhaupt nicht voran. Das ist den Leuten dann vielleicht doch zu billig. Und bei der Europawahl hat die SPD in Berlin sogar noch leicht zugelegt. Es geht um etwas anderes. Tempelhof ist kein Fanal, sondern ein Symbol.

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