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Karl Lauterbach SPD, Bundesminister für Gesundheit, aufgenommen im Rahmen einer Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt. Berlin, 01.03.2023 Berlin Deutschland *** Karl Lauterbach SPD , Federal Minister of Health, recorded during a cabinet meeting at the Federal Chancellery Berlin, 01 03 2023 Berlin Germany Copyright: xThomasxTrutschel/photothek.dex

© IMAGO/Thomas Trutschel

Kinderlose und die Pflegeversicherung: Wie frauenfeindlich ist die Diskussion um Beitragserhöhungen?

Karl Lauterbach will besonders Menschen ohne Nachwuchs zur Kasse bitten. Das lenkt den Blick auf Frauen und provoziert Fragen zur Nützlichkeit der Bevölkerung.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Als Karl Lauterbach jüngst mit der Drohung an die Öffentlichkeit ging, dass die Pflegeversicherungsbeiträge steigen würden, und zwar „besonders für Kinderlose“, wurde ihm unter anderem Frauenfeindlichkeit vorgeworfen.

Der Vorwurf liegt nah, da Geburtenquoten „je Frau“ berechnet werden, sich Kritik daran also allein an ein Geschlecht richtet. Zudem sind die Zahlen mit der Gebärfähigkeitsfrist belegt: Ab Ende 40 gelten sie als „endgültig kinderlos“, anders als Männer, die, bis sie ins Grab fallen, lediglich keine Kinder haben.

Der massive Hieb des Gesundheitsministers lässt sich also durchaus frauenfeindlich interpretieren und führt zu der Frage, was er erreichen will? „Besonders für Kinderlose“ liest sich wie eine Quittung für unerwünschtes Verhalten und bedient eine ziemlich platte Sicht auf ein zweifellos substanzielles Problem.

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Fehlender Nachwuchs fehlt den Sozialversicherungen im Beitragszahlerpool, während die Zahl der Alten perspektivisch steigt. Woher soll das Geld für deren Pflege kommen, wer soll die überhaupt pflegen, ob als Fachkraft oder Familienmitglied, wenn da niemand nachwächst?

So weit, so akzeptiert. So unterkomplex? Dass nicht jedes Kind, das zur Welt kommt, ein High-End-Beitragszahler wird, beweisen nicht zuletzt die jährlichen Statistiken über Schulabgänger ohne Abschluss.

Manche Menschen brauchen ihr Leben lang Unterstützung

Aus ihnen werden mit Pech lebenslange Unterstützungsempfänger. Und was ist mit den Arbeitsunfähigen, den Kranken und Behinderten?

Die Debatte um die künftige Finanzierung von Rente- und Pflegeversicherung dreht sich im Kern um Frage, wer die Gemeinschaft etwas kostet, wer ihr etwas einbringt. Es gibt dazu keine validen Zahlen, und wie will man das auch berechnen?

Wenn der kinderlose Werkstattbesitzer mit viel Einsatz fünf bildungsferne Schulabbrecher bis zu einem Lehrabschluss coacht, hat er dann nicht viel mehr für die Pflegeversicherung geleistet als ein Paar, das ebenso viele Kinder zur Welt gebracht hat, die zeitlebens Unterstützung brauchen?

Was ist mit den Ein-Kind-Familien, die den Status-Quo auch nicht halten, für ihren einen Nachwuchs aber die kostenlosen Bildungsangebote von der Kita bis zur Hochschule und Familienleistungen in Anspruch nehmen, die auch von Kinderlosen finanziert werden?

Eklige Fragen? In der Tat: Wer will denn Gesellschaft so betrachten? Was ist das für ein Blick?

Wer anfängt, die auf Solidarität aufbauenden Sozialsysteme in spezielle Untergruppen aufzusplitten, teilprivatisiert Lebensrisiken. Das könnte sich fortsetzen bis zur Forderung danach, Rente, Pflege & Co. freizugeben. Keine Abgaben mehr an den Staat, jeder kümmert sich selbst. Fällt jemand, hängt irgendwo weit unten ein Sicherungsnetz mit Basisleistungen.  

Bisher waren die Kinderlosen ohne großes Murren damit einverstanden, für die Pflegeversicherung einen Beitragszuschlag zahlen zu müssen, zuletzt erhöht Anfang 2022 auf 0,35 Prozent. Seither ist der finanzielle Druck krisenbedingt bei den meisten gewachsen, Geld wird knapper, Sorgen werden größer.

Und ausgerechnet in dieser Situation hat Lauterbach die friedliche Wer-zahlt-wie-viel-Übereinkunft mit dem Vorschlaghammer attackiert. Er gefährdet damit womöglich mehr, als sich gewinnen lässt.

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