zum Hauptinhalt

Meinung: Kanzler der kleineren Lobby

Der Feind sitzt in Brüssel - den Eindruck muss einfach haben, wer verfolgt, mit welchem Einsatz sich Bundeskanzler Schröder in diesen Tagen für Deutschland in die Bresche wirft. Erst zieht er für den deutschen Minus-Haushalt und gegen den blauen Brief aus Brüssel zu Felde.

Der Feind sitzt in Brüssel - den Eindruck muss einfach haben, wer verfolgt, mit welchem Einsatz sich Bundeskanzler Schröder in diesen Tagen für Deutschland in die Bresche wirft. Erst zieht er für den deutschen Minus-Haushalt und gegen den blauen Brief aus Brüssel zu Felde. Und jetzt bedroht angeblich der Brüsseler Wettbewerbskommissar Mario Monti die deutsche Automobilindustrie.

Das ist keine gute deutsche Politik, die Brüsseler EU-Behörde als Popanz aufzubauen. Der eisenharte Kurs des Autokanzlers, der in der Vergangenheit schon einmal eine Altautoverordnung kippte, um den deutschen Autobauern zahlreiche Unannehmlichkeiten zu ersparen - dieser Kurs wird diesmal nicht funktionieren. Unter dem Strich ist das eine gute Aussicht für die Deutschen. Auch wenn hierzulande jeder siebte Arbeitsplatz am Auto hängt - die Lobby der Verbraucher, der Autokäufer und Autofahrer, ist noch größer. Sie können von Montis Plänen zur Neuregelung des europäischen Autohandels zunächst einmal Vorteile erwarten: Sinkende Preise bei Reparaturen, kürzere Wege beim Autokauf und vielleicht auch sinkende Neuwagen-Preise.

Viele Bürger halten die Europäische Union für einen Riesenapparat, der zur Überregulierung neigt und wenig Effizienz bei der gerechten Verteilung von Ausgleichszahlungen und Hilfsfonds bietet - irgendwie unheimlich. Die Änderung der Brüsseler Gruppenfreistellungsverordnung - welch Unwort - ist jedoch ein Gegenbeispiel. Die EU-Mitgliedstaaten können zum Glück kein Veto mehr gegen die Pläne einlegen. Sie können Einwände gegen die Neuordnung des europäischen Autohandels erheben. Und Wettbewerbskommissar Mario Monti wird sie sich alle bis zum Sommer anhören. Aber dann wird er entscheiden - und von da an wird der Wind des Wettbewerbs schärfer wehen für die deutschen Autohersteller.

Das ist kein Zeichen für eine fragwürdige Brüsseler Allmacht, sondern ein Mechanismus zum Schutz der Verbraucher. Europäische Wettbewerbspolitik kann nur funktionieren, wenn sie sich nicht permanent nationalen Einsprüchen beugen muss. Dass der Italiener Monti, ähnlich wie sein Vorgänger Karel van Miert, bei der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes den Schutzzaun um die deutsche Automobilindustrie einreißen möchte, kommt nicht von ungefähr. Autohersteller, Händer und Vertragswerkstätten haben über Jahrzehnte ein Kartell gebildet, das dem Verbraucher keine große Wahl lässt. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der USA. Dort haben Händler und Reparaturwerkstätten sehr viel mehr Rechte gegenüber den übermächtigen Herstellern.

Wo aber mehr Freiheit für alle - inklusive der Verbraucher - herrscht, wächst zwangsläufig die Verantwortung für den einzelnen Konsumenten. Autokäufer müssen zwar nicht fürchten, dass sie der Hersteller ganz ohne Garantieleistungen allein lässt und Autowerkstätten nun nicht mehr den üblichen Standards genügen. Aber so wie das bestehende Kartell der Hersteller und Vertragshändler vor allem auf den bequemen Kunden abzielte, so wird dieser künftig etwas genauer auf die unterschiedlichen Angebote schauen müssen.

Man kann es verständlich finden, dass die Bedrohung der deutschen Autoindustrie dem Kanzler im Wahljahr schlecht ins Konzept passt. Man kann es aber auch umgekehrt sehen. Gerade im Wahljahr könnte Schröder sich wandeln: vom Kanzler der Autoindustrie zum Kanzler der Autofahrer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false