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Gegen Antisemitismus: Demonstrationen in Berlin

© picture alliance/dpa/Christoph Soeder

75 Jahre nach Staatsgründung: Gegenüber Israel ist Neutralität keine Haltung

Der Staat der Juden und das Volk der Täter, auf ewig verbunden. Und mehr denn je dazu verpflichtet, Neues zu denken. Gemeinsam. Einfach wird das nicht.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Am Anfang war der Kampf. Israel, kaum ausgerufen, musste sich gegen arabische Verbände zur Wehr setzen - und das Wunder geschah: Der junge Staat widerstand, wurde nicht „ins Meer geworfen“, nicht ausgelöscht. Heute, am 14. Mai, ist er 75.

Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist – wusste der große David Ben Gurion, der Staatengründer, und ihm glaubte schon Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler. An Israel zu glauben, daran, dass es fortbesteht, ist nur realistisch.

Aber: Die Zeiten ändern sich. Ändern uns. Es muss verändern, wer das Bewährte bewahren will. Dazu sind Israel und Deutschland aufgerufen, eine Schicksalsgemeinschaft, einzigartig. Das Volk der Täter und der Staat der Opfer, verbunden auf ewig.

Der Holocaust, die Shoah mit sechs Millionen toten Juden, der Versuch des industriellen Völkermords – sie sind der Urgrund der Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis. Aber sie dürfen im Jahr 76 nicht der einzige Grund sein. Die Zukunft will gestaltet werden.

Eher muss die Bundeswehr auf den Golan

Und da ist eine triste Erkenntnis: Es gibt keine deutsche Israel-Politik. Zumindest keine, die so genannt werden könnte, weil sie strategisch an die Herausforderungen heranginge. Nun ist, umgekehrt, Israel auch ein schwieriger Partner. Einer, der mit seiner Politik herausfordert, besonders mit der jetzigen, der umstrittenen rechtsreligiösen Koalition.

Neue Denkmuster müssen auch hierzulande immer wieder neu errungen werden. Wer, zum Beispiel, der Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ kritiklos folgt, die Israel als jüdischen Staat vernichten will, trägt auch dazu bei, dessen Gründung zu delegitimieren. Von diesem Denken muss sich zumal die jüngere Generation befreien. Jedenfalls dann, wenn Angela Merkels Wort von der Verbindung zu Israel als „Staatsräson“ von 2008 wahr sein, besser: wahr werden soll. Denn es gilt, zu definieren, was das bedeutet.

1973, im Yom-Kippur-Krieg, verwehrte die sozialliberale Brandt-Scheel-Regierung den USA, Waffen an Israel zu liefern; dabei stand der Staat kurz vor seinem Ende. Käme es heute zu einer existenziellen Bedrohung, dürfte das, nach der Logik des Merkelschen Begriffs, keiner bundesdeutschen Koalition gestattet sein. Neutralität ist keine Haltung. Eher muss die Bundeswehr auf den Golan.

So sehr sich das an die Deutschen richtet, Regierung und Volk, so sehr ist Israel als Partner gefordert. Rechtsextreme Regierungspolitiker aus seinen Reihen – Deutschland kann sie vor dem Hintergrund alles Genannten nicht einfach willkommen heißen. Rechtsnationale Politik kann Deutschland vor dem Hintergrund der Geschichte auch nicht durch Schweigen gutheißen.

2000
Jahre jüdische Geschichte – es führt kein Weg daran vorbei, diese Erkenntnis weiterzuverbreiten.

Aber EU und Nato sind als stärkere Helfer nötig, damit die Zweistaatenlösung im Nahen Osten auch nur noch den Hauch einer Chance auf Verwirklichung hat. Es ist schwierig genug. 700.000 jüdische Siedler sind nicht mehr aus dem Westjordanland wegzubringen. Nicht ohne jüdischen Bürgerkrieg, und den kann niemand auch noch aushalten. Die Frage ist, wie die deutsche Regierung das Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern fördern kann, ohne selbst als Oberlehrer aufzutreten.

Das Jugendwerk muss kommen

Richtig und wichtig wird darum außerdem, das Meinungsbild über Israel mit prägen zu wollen – möglichst positiv. Und zwar unabhängig von Angriffen, die das Land treffen und manchmal auch das Ausland, Deutschland, erschüttern. Mitleid ist nicht von Dauer.

Israel als jüdische Antwort auf mehr als 2000 Jahre jüdischer Geschichte – es führt kein Weg daran vorbei, diese Erkenntnis weiterzuverbreiten. Vor der Jugend zu erklären, wie das Land vom Orangen-Exporteur zur High-Tech-Nation wurde, zum Staat, der in sich immer ein „Start-up“ war und sein wird. Warum Israel Heimstatt alles Jüdischen ist – und warum es nötig ist, das zu verteidigen, präventiv und doch defensiv. Wie sich an der Ukraine zeigt. Und auch im Hinblick auf das antisemitische Regime im Iran.

Die Zukunft der Beziehung zwischen Israel und Deutschland wird nicht zuletzt von den jungen Menschen gestaltet werden. Es wird Zeit für das deutsch-israelische Jugendwerk – im Sinne künftiger Regierungen. Wie sie sich gegenseitig wahrnehmen und wie sie sich begegnen, hängt von Ihnen ab. Und ob sich israelbezogener Antisemitismus weiter so ausbreitet. Das Bild von Israel bestimmt das Bild der Juden. Am Ende ist es auch ein Kampf um das richtige Bild.

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