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Bild aus besseren Zeiten: Vizekanzler Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. Die sogenannte Fortschrittsagenda braucht dringend ein Update.

© Imago/Photothek/Florian Gaertner

Immer neuer Streit in der Ampel: Die Koalition muss Respekt lernen

So schlecht waren die Umfrageergebnisse für eine Koalition noch nie. Wenn diese Regierung noch jemanden von sich überzeugen will, hat sie nicht mehr viel Zeit.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Streit, Streit, Streit – diese Koalition ist zusammengekommen, ohne zusammenzufinden, wie es scheint. Jetzt gerade geht es um die Kinder, die Kitas. Da geht die FDP die Grünen an, mal wieder, und man wird den Eindruck nicht los, als lasse die eine Seite die Argumente der anderen partout nicht gelten. Auch immer wieder. Das ist doch kein Umgang miteinander!

Ausgerechnet beim Thema Kinder. Aber es ist auch irgendwie passend, im übertragenen Sinn. Will sagen: Das ist kein Kinderkram, beileibe nicht, nur mutet es allmählich wie eine Kinderei an. Am liebsten würde man ihnen zurufen: Los, Kinder, jetzt vertragt euch. Sonst …

Ja, sonst was? Das ist die Frage nach der Konsequenz. Die stellt sich vermehrt, eben jeden Tag inzwischen. „Koalition droht neuer Streit um …“ – der Rest lässt sich beliebig einsetzen. Wäre es nicht so ernst, so traurig, man könnte lachen. Oder es als Satire ansehen, als Groteske. Ist es auch, alles das. Nur dazu bitterernst, und zwar fürs ganze Land.

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Was sollen die Leute über die Politik, die Politiker insgesamt und die Koalitionäre im Besonderen, denken? Antwort: das Schlechteste. So schlecht waren die Umfrageergebnisse für eine Koalition noch nie, für alle wie für die einzelnen Mitglieder, von der Spitze, dem Kanzler, angefangen. Stärken werden gar keine gesehen, überall bloß Schwächen, und was gut war oder ist, fällt nicht weiter ins Gewicht. Mindestlohn, Strom- und Gaspreisbremse, Deutschlandticket – war da was? Ja, aber es ist, als wäre nie was gewesen. Schon gar nichts Positives.

Die Ampel kann eines nicht: gewinnbringend, freundschaftlich streiten.

Stephan-Andreas Casdorff, Tagesspiegel-Herausgeber

Zur Illustration die jüngste Umfrage: 80 Prozent der Bürger zeigen sich eher oder sehr unzufrieden mit der Bundesregierung, bei der SPD sind es 76 Prozent, bei den Grünen 78 Prozent und bei der FDP 81 Prozent. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft von Rot, Grün und Gelb ist am Boden. Wie wollen sie dann wiedergewählt werden?

Plakativ gesagt: Indem sie ganz schnell erwachsen werden. Speedlearning, um es modern auszudrücken. Da gibt es zum Beispiel das Wort Respekt, das jeder, jede für sich buchstabieren sollte.

Um anhand dessen Diskurskontrolle zu üben. Die Ampel kann nämlich eines nicht: gewinnbringend, freundschaftlich streiten.

Schon klar, Politik ist kein Gesangverein Harmonie. Ein schöner Begriff, nicht ganz neu, er stammt noch vom legendären CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Lang ist’s her. Aber wenn es auch im Grundsatz stimmt – gibt es nur schrille Töne, eine Kakophonie, dann laufen die Leute weg. Wie man sieht. Der Ton macht die Musik, erstens, und das Orchester braucht eine gemeinsame Melodie. Da wird der Kanzler zum Dirigenten.

Wer kann glauben, dass Streit eher anzieht als abschreckt? Im Ernst doch niemand, der die jüngsten Zahlen gesehen hat. Wenn die Grünen-Bundesvorsitzende den SPD-Fraktionschef in einer Weise angreift, als wäre sie die Oppositionsführerin – und das ist nur ein Beispiel –, dann mag sie in der Sache dreimal recht haben, aber es nutzt eben ihrer Sache nicht. Die SPD macht dann einfach dicht.

Was jetzt wichtig wäre: zusammensetzen, um sich auseinanderzusetzen. Die Koalitionäre müssen sich noch einmal selbst vergewissern, ob sie das gemeinsam schaffen wollen, können, oder nicht. Dazu gehört dann inhaltliche Führung, aber auch Kompromissbereitschaft. So wie Kanzler Olaf Scholz das macht, geht es nicht, jedenfalls nicht weiter.

Hintertragene Bemerkungen über Andersdenkende in der Koalition vergiften das Klima; was wiederum als Bild zum Verhältnis zwischen SPD und Grünen passt. Debatten enden nicht einfach, nur weil einer das dekretieren will; sie enden dann, wenn ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit gefunden ist.

Wie wäre es mit einem Update, einer erneuerten Fortschrittsagenda, für die sich die in der Ampel gegenseitig begeistern können? Nur wenn sie darüber zusammenfinden, werden sie auch andere noch begeistern können. Sonst … Ja, sonst gilt: Viel Zeit bis zu den nächsten Wahlen ist nicht mehr.

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