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Nachtragshaushalt 2021 gekippt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (r-l, FDP), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) verlasen nach dem Urteil ein Pressestatement.

© dpa/Kay Nietfeld

Haushalt der Ampel verfassungswidrig: Nicht nur die Koalition hat nun ein Problem – sondern ganz Deutschland

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Zeit der Dogmen vorbei. Alle Parteien müssen sich bewegen, um Schaden vom Land abzuwenden.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn das keine Klatsche ist. Vielleicht noch keine „Vollklatsche“, wie die Unionsopposition meinte, aber nahe dran ist es schon, wie das Bundesverfassungsgericht zum Haushalt geurteilt hat. Der Klima- und Transformationsfonds soll um 60 Milliarden Euro gekürzt werden. Das muss die Ampelkoalition erst einmal schaffen, in ihrem Zustand und überhaupt.

Die nicht benötigten Milliarden aus den Corona-Krediten durften also nicht umgewidmet und in den Klimafonds verschoben werden. Das Vorgehen der Ampel ist höchstrichterlich „nichtig“, nicht nur nach Meinung ihrer Kritiker ein Verstoß gegen die Schuldenbremse, die immerhin in der Verfassung steht. Ein schlechteres Zeugnis für die Arbeit lässt sich kaum vorstellen. Höchstens, wenn die Wähler ihr ein ähnliches ausstellen.

Eindeutig ist: Mit dem Urteil hat die Klage der 197 CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten Erfolg. Das kann man mit Fug, bloß ohne Recht beklagen. Das Geld, um das es geht, wurde schließlich nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht, wohl aber für den Kampf ums gute Klima. Und der Bundestag hatte es mit Zustimmung des Bundestages 2022 rückwirkend dahin umgeschichtet. Nur nicht mit allen Stimmen.

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Der Zweite Senat des Verfassungsgerichts ging, sagen wir, puristisch vor. Vielleicht auch, weil er sich das erste Mal mit einem solchen Fall befassen musste. So gilt es nun: Die Schuldenbremse braucht eine wirkliche Bremswirkung, es sollen ja nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert werden. Auch in Notlagen muss klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen endet.

Dass einstweilen die Ampel das Problem hat, sie allein, ist ein Trugschluss. Denn mit ihr hat es der gesamte Staat; und der Staat sind wir.

Stephan-Andreas Casdorff

Die Union darf sich allerdings nicht zu früh freuen. Sollte sie einmal wieder regieren, gilt das genauso für sie. CDU und CSU haben auch sich selbst den Spielraum eingeengt. Womöglich fällt ihr später auf, dass das gar nicht so klug war. Denn Krise ist immer, immer öfter.

Auch dass einstweilen die Ampel das Problem hat, sie allein, ist ein Trugschluss. Denn mit ihr hat es der gesamte Staat; und der Staat sind wir.

Das Problem ist nicht gering: Falls bereits eingegangene Verpflichtungen aufgrund der jetzigen Entscheidung absehbar nicht mehr bedient werden können, „muss dies durch den Haushaltsgesetzgeber anderweitig kompensiert werden“, sagte die Vorsitzende Richterin.

Das Urteil dürfte den Kanzler nicht überraschen

Jetzt geht’s drum. Das Urteil verbietet keine Debatte über die Schuldenbremse, das tut in der Koalition nur die FDP. Doch sie muss wissen: Wer keinen verfassungskonformen Haushalt zusammenbringt, ist regierungsunfähig. Und scheitert.

Olaf Scholz, vor seiner Zeit als Kanzler Finanzminister, dürfte das Urteil eigentlich nicht überraschen. Er wird die Möglichkeiten der Schadensbegrenzung bedacht haben, alles andere widerspräche dem Bild vom Oberpragmatiker und Chefstoiker. Schaden muss übrigens in zweierlei Hinsicht nicht nur begrenzt, sondern abgewendet werden: vom deutschen Volk, wie es der Amtseid verlangt, und von der Koalition.

Alle müssen sich da bewegen: aufeinander zu.

Stephan-Andreas Casdorff

Der Wirtschaftsweise Achim Truger hat ja auch schon erklärt, wie es gehen kann. Die saubere, grundsätzliche Lösung wäre eine Reform der Schuldenbremse. Zum Beispiel durch die Regel, nach einer Krise schrittweise zur Schuldenregel zurückzukehren. Oder fehlende Einnahmen durch einen befristeten Energie- oder Klima-Soli auszugleichen. Oder indem man eine Notlage über Jahre ausruft.

Das alles muss aber jetzt erst einmal diskutiert werden – rasch und mit dem Blick auf eine Zweidrittelmehrheit. Alle müssen sich da bewegen: aufeinander zu. Nicht zuletzt in der Ampel.

Richtlinienkompetenz des Kanzlers gut und schön, oberste Richtlinie muss sein, wie wir alle nicht verlieren, sondern von angemessener, vorausschauender Regierungspolitik profitieren. Scholz muss führen, SPD, Grüne und FDP müssen sich führen lassen. Auf Dogmen zu beharren „isch over“, wie der Vater der Schuldenbremse, Wolfgang Schäuble von der CDU, gesagt hätte.

Die Klatsche weckt alle auf. Es wird Zeit für eine Verantwortungsgemeinschaft der Demokraten. Sonst bekommen die nämlich bei der nächsten Bundestagswahl eine Vollklatsche.

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