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Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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Vogelgrippe: H7N9 könnte schneller fliegen als ein Vogel

Der Import von Geflügel aus China muss verboten werden. Denn H7N9 enthält eine biologische Besonderheit, die den Fachleuten Rätsel aufgibt.

Die Vogelgrippe ist wieder da, und die Kommentare hören sich bekannt an: Das neue Virus H7N9 sei „derzeit“ keine Gefahr für Menschen, die Schließung der Geflügelmärkte in Schanghai, Nanjing und Hangzhou erfolgte rein vorsorglich. Der Vertreter der WHO in China, Michael O’Leary, attestierte den lokalen Behörden größte Sorgfalt und vorbildliche Kooperation. Eine Ausbreitung des Erregers in andere Länder sei unwahrscheinlich. Es bestehe „derzeit kein Grund zur Panik“. Die bisherigen Daten sprechen allerdings dafür, das neue Vogelgrippevirus H7N9 ernst zu nehmen.

Bis zum gestrigen Dienstag wurden 28 Menschen infiziert, acht davon starben. Das deutet darauf hin, dass H7N9 ähnlich gefährlich ist wie H5N1, bei dessen erstem Ausbruch in Hongkong 1997 sechs von 18 Infizierten starben. Allerdings sind die registrierten Fälle diesmal über vier chinesische Provinzen verteilt und liegen viele hundert Kilometer auseinander. Da die ersten Erkrankungen bereits im Februar auftraten und die Gesundheitsüberwachung in den ländlichen Regionen lückenhaft ist, muss mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden.

Daneben hat H7N9 eine biologische Besonderheit, die den Fachleuten Rätsel aufgibt. Bisher kam es zu menschlichen Infektionen durch aviäre (von Vögeln stammende) Influenzaviren nur dann, wenn die betreffenden Virusvarianten auch bei Vögeln besonders aggressiv waren: Weil sich diese „hoch pathogenen aviären Influenzaviren“ besonders schnell vermehren und von den Vögeln in großer Zahl ausgeschieden werden, können sie gelegentlich auf andere Tierarten überspringen – so die bisherige Theorie.

Doch mit H7N9 infizierte Hühner und Tauben zeigen so gut wie keine Krankheitssymptome. Trotzdem trägt das Virus eine Mutation, die das Anheften an die menschlichen Atemwege erleichtert. Erste Analysen deuten darauf hin, dass H7N9 durch Vermischung der Gene dreier Vogelviren entstanden ist, die schon lange in Asien zirkulierten. Das erklärt, warum das Virus bei Vögeln kaum Symptome verursacht. Doch wie konnte es sich dann an die Atemwege des Menschen anpassen?

Eine naheliegende Erklärung ist, dass H7N9 oder eines seiner Elternviren schon länger unbemerkt beim Menschen oder einem anderen Säugetier zirkulierte. Doch die Herkunft des Virus liegt im Dunkeln. Bisher ist nicht einmal bekannt, von welcher Tierart sich die 28 Erkrankten angesteckt haben.

Weil sich bei Vögeln keine Symptome zeigen, können die Infektionswege nur durch Labortests aufgeklärt werden. Ein für Massenuntersuchungen in Geflügelbetrieben geeigneter Schnelltest soll Ende dieser Woche einsatzbereit sein. Im besten Fall stellt sich in einigen Monaten heraus, dass das neue H7N9-Virus nur bei Hühnern und (in China für den Verzehr produzierten) Tauben vorkommt. Wenn der Erreger jedoch auch unter Wildvögeln zirkuliert, ist die Verbreitung nicht aufzuhalten. Früher oder später kommt das Virus dann auch in Europa an.

Im schlimmsten Fall könnte das Virus sogar schneller fliegen als ein Vogel: Seit 2008 erlaubt die EU die Einfuhr von Geflügelfleisch aus der ostchinesischen Provinz Schandong, weil deren Behörden „ausreichend gut strukturiert sind, um den Gesundheitsstatus des Geflügels erfassen zu können“. Die Behörden kontrollieren angeblich zuverlässig die Erhitzung auf 70 Grad, wodurch etwaige Viren abgetötet würden. Zudem habe sich China bereit erklärt, Ausbrüche der aviären Influenza „innerhalb von 24 Stunden“ zu melden. Schandong grenzt unmittelbar an die vom H7N9-Ausbruch betroffenen Provinzen Jiangsu und Anhui. Und wie zuverlässig die Eigenkontrollen in China sind, hat Deutschland gerade bei den mit Noroviren verseuchten Erdbeeren gelernt.

Übrigens empfahl auch WHO-Vertreter O’Leary am Montag, kein Fleisch von infiziertem Geflügel zu essen. Dass dieses weiterhin in die EU exportiert wird, obwohl sich die Infektion derzeit nicht feststellen lässt, ist unverantwortlich.

Die Verbraucher in China sind da weniger fatalistisch: Der lokale Verkauf von Huhn und Ente ist eingebrochen, die Preise um 20 Prozent gefallen. Und Hongkong verhängte gerade einen Importstopp für Geflügelprodukte aus Deutschland – wegen der hiesigen Vogelgrippe-Ausbrüche mit H5N1.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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