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Hertha, Fox & Berlinale: Guten Morgen, Berlin

Eigentlich haben Herthas Sieg über Bayern München, eine höchst erfolgreiche Berlinale und Peter Fox' Sieg beim Bundesvision Song Contest wenig miteinander zu tun. Aber das alles ist eben auch eine Momentaufnahme Berlins. Es zeigt wieder einmal die Reize dieser Stadt.

Dies ist eine verrückte Stadt, jeder weiß das. Aber selten wurde es uns so bewusst wie an diesem Wochenende, als plötzlich Dinge geschahen, die eigentlich überhaupt nicht zusammengehören und dennoch auf wundersame Weise zusammenzupassen scheinen. Weil sie vielleicht vergänglich sind, aber ziemlich ehrlich, und man sie deshalb gerne festhalten möchte, hoffend, dass sie Wurzeln schlagen.

Da endet eine Berlinale, die 59. war es, mit einem triumphalen Publikumserfolg, auch, weil man endlich den Schritt Richtung Osten gewagt hat und in den Friedrichstadtpalast gegangen ist, jenes so scheußliche wie traditionsreiche Varieté aus DDR-Tagen, das die Vertreter des Westberliner Bildungsbürgertums bis zu dieser Berlinale vermutlich nie betreten haben. Dieter Kosslick, der Berlinale-Macher, dem immer wieder das Wunder gelingt, Leinwandstars aus aller Welt zur schauderhaftesten Jahreszeit nach Berlin zu locken, kann stolz sein – so viel begeisterte Publikumsresonanz wie sein Festival hat keines.

Dann Hertha. Untypisch typisch Berlin. Lange Jahre eher mäßig denn erfolgreich. Eine Mannschaft, zusammengewürfelt wie die Menschen dieser Stadt, angelockt aus aller Welt: Gerade mal zwei, Patrick Ebert und Marc Stein, haben ihre Wurzeln hier in der Region. Dann kommt ein Trainer aus der französischen Schweiz, bläut der Mannschaft preußische Disziplin ein, ein Serbe und ein Ukrainer schießen Tore wie aus dem Fußballkino, und die Berliner sind im endlich einmal richtig vollen Olympiastadion glücklich – Hertha Nummer eins, Bayern geschlagen. Kickerherz, was willst du mehr?

Am Freitagabend zuvor dieser Peter Fox: Gewinnt den „Bundesvision Song Contest“ mit einem Hassliebelied auf diese Stadt, ein mitreißend inszeniertes Stück, das bei Youtube innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Million mal angeklickt wurde. „Schwarz zu blau“ heißt es. Komponiert in einem Stil, den klassik-bewusste Eltern vermutlich ganz entsetzlich, weil viel zu stakkatohaft finden. Mit einem Text, der kaum die Segnung traditioneller Gymnasialbildung erhalten würde. Gesendet auf Pro 7, einem jener TV-Anbieter, den ARD und ZDF gerne mit dem Adjektiv „Privat“ behängen, was uns warnen soll: Vorsicht ekelig, sollst du nicht schauen!

Was Berlinale, Hertha und der Sieger-Song gemeinsam haben? Nichts, klar. Film ist Film, Fußball ist Fußball und ein leicht angewiderter Text eben das. Aber das alles ist eben auch eine Momentaufnahme Berlins. Die Popularität dieses Festivals, das trotz seiner Stars so gar nicht elitär und dabei doch mit Herz überaus kompetent ist. Ein Fußballteam, in dem, oh ja, eine Plattitüde, aber wahr, die Mannschaft der Star ist. Und ein Liebeslied wie ein wütender Protestsong, das ganz schroff anfängt und ganz zart endet und eben gerade so wie die Stadt ist – Schmalz gehört auf die Stulle, fertig.

Pascal Hugues, französische Kolumnistin dieser Zeitung, hat gerade erst, am Sonnabend, im Tagesspiegel sinniert: „Berlin ist seit 20 Jahren in der Mauser. Es ist keine Schönheit, seine Reize springen nicht ins Auge. Man muss sie suchen.“

Und man findet sie. Ob bei der Berlinale, bei einem Fußballspiel oder wenn man dieses Lied hört, „Schwarz zu blau“. Was sich ereignete, wie es passierte, kann man, jedes für sich, als allenfalls tagesaktuell und ohne bleibenden Wert abtun. Man kann aber auch sagen: Schön so – guten Morgen, Berlin.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

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