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Solarenergie ist sauber, braucht aber möglichst unbewohnte Flächen.

© Foto: AFP/Cristina Quicler

„Green Deal“ der EU : Wo der Solarausbau in Spanien auf Protest stößt

Im Süden Spaniens scheint fast immer die Sonne. Es ist eine ideale Region für Mega-Solarparks. Doch längst nicht alle Bewohner freuen sich darüber.

Eine Kolumne von Malte Lehming

Im kommenden Jahr wird Claudia Scholler 65 Jahre alt. Dann hat die gelernte Hotelfachfrau 47 Jahre lang in der Gastronomie gearbeitet: an der Ostsee, auf Ibiza und Mallorca – und seit 2001 in Andalusien, in der Nähe der Kleinstadt Lucainena de las Torres, im Süden Spaniens. Dort hat sie in einem abgelegenen Tal eine Steinruine in ein Gästehaus verwandelt. Es ist sehr ruhig und idyllisch, nachts sind die Sterne so hell wie Laternen. Ein idealer Ort für Seminare, Yoga-Gruppen oder Kochkurse. Viele Besucher kommen regelmäßig, Jahr für Jahr.

Ich kenne Claudia seit ihrer Zeit an der Ostsee, wir sind befreundet, das macht mich befangen. Vor zwei Wochen habe ich sie besucht in ihrem Cortijo. Sie wirkte anders als sonst. Engagiert, kämpferisch, politisch. Der Satz, den sie am häufigsten sagte, lautet: „Das darf alles nicht wahr sein.“

Claudia nimmt mich mit auf eine halbstündige Autofahrt von Sorbas nach Tabernas, das sind zwei kleine Städte im Norden von Almeria. Claudia nennt es die „Tour des Grauens“. Rechts sind freie Flächen zu sehen, wo früher Olivenbaum-Plantagen standen, links Mega-Solarparks, so weit das Auge reicht. Andalusien ist heiß, die Sonne scheint fast immer. Die Region spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des „Green Deals“, durch den die Europäische Union bis 2050 klimaneutral sein will.

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Mit aller Kraft und großzügigen EU-Subventionen entstehen hier reihenweise Wind- und Solarparks und riesige Strommasten. Man nennt es die „grüne Revolution“. Die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben den Druck erhöht, möglichst rasch die Erneuerbaren Energien auszubauen.

Von einem „Boom“ ist die Rede. Genehmigungsvorgänge werden beschleunigt, betroffene Grundstücksbesitzer enteignet oder finanziell abgefunden. Die angebotenen Beträge sind allerdings oft weitaus niedriger als die Ertragseinbußen durch ruinierte landwirtschaftliche Flächen.

Auch in der Umgebung von Lucainena ist ein Solarpark geplant, drei Hochspannungsleitungen sollen durch Claudias abgeschiedenes Tal laufen. Einen gesetzlich vorgeschriebenen Abstand zwischen Photovoltaik-Anlagen und bewohnten Häusern gebe es nicht, sagt sie. Gesetzlich geregelt sei lediglich, dass Stromleitungen und -masten im Falle einer Naturkatastrophe nicht auf ein Wohnhaus fallen dürften.

Das Cortijo von Claudia Scholler liegt in einem Tal nördlich von Almeria in der Region Andalusien.

© Foto: Tsp/Malte Lehming

Claudia betreibt ihr Haus seit 22 Jahren mit Solarenergie, an das örtliche Elektrizitätsnetz ist es nicht angeschlossen. Mehrmals wurde es als „Most Environmentally Friendly Guest House in Spain“ ausgezeichnet.

Sie ist wütend, schreibt an die Firma, die für das Projekt verantwortlich ist. Keine Antwort. Sie schreibt an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Keine Antwort. Schließlich wird Claudia auf „Aliente“ (Alianza Energia y Territorio) aufmerksam, einen Dachverband, in dem sich rund 180 spanische Umwelt- und Sozialverbände zusammengeschlossen haben.

Sie fordern ein Moratorium für den Bau weiterer Mega-Anlagen. Ihr Motto lautet: „Erneuerbare Energien ja – aber nicht so“. Es wird demonstriert und protestiert. Viele Schicksale erinnern an den Film „Alcarràs“ der spanischen Regisseurin Carla Simón, für den sie in diesem Jahr bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet wurde.

Claudia Scholler hat 47 Jahre lang in der Gastronomie gearbeitet. In Andalusien hatte sie eine Steinruine in ein Gästehaus verwandelt.

© Foto: Tsp/Malte Lehming

Die Anliegen der Verbände sind unterschiedlich. Es geht ihnen um die Erhaltung der Biodiversität, der Landwirtschaft, des Tourismus. Was sie eint, ist der Widerwille gegen einen Green-Deal-Gigantismus. Lokal verträglich müssten die Projekte geplant werden, heißt es.

Angemahnt wird außerdem die Einhaltung von gesundheitlich notwendigen Abständen zwischen Strommasten und urbaner Bebauung. Claudia wollte sich im nächsten Jahr zur Ruhe setzen und ihr Haus verkaufen. Wegen der unklaren Lage ist der Käufer nun vorläufig zurückgetreten.

„Das darf alles nicht wahr sein“, sagt sie. Immer stärker begreift sie ihr persönliches Schicksal als Teil einer größeren Entwicklung. Im Herzen ist sie eine Grüne, war sie eigentlich immer. Sie versteht, warum es eine Energiewende geben muss, aber eben „nicht so“.

Es gibt bereits ein Lied und ein Video dazu, das die Landschaft rund um Lucainena zeigt. Das Lied heißt „Tierra“ und wird gesungen von der gebürtigen Schweizerin Danit. „S.O.S“ steht in großen Buchstaben über dessen Anfang.

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