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Diese Polizeiabsperrung in Köln konnte den gewaltbereiten Demonstranten am Sonntag nichts entgegensetzen. Unser Gastautor, der Grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, meint: Zum Kampf gegen den Terrorismus muss die klassische Polizeiarbeit auf europäischer Ebene gestärkt werden.

© dpa

Gastbeitrag: Europäische Sicherheitsbehörden stärken

Edward Snowden hat gezeigt: Die Massenüberwachung verfehlt ihre Wirkung. Die Regierungen müssen stattdessen mehr in grenzübergreifende Ermittlungsteams investieren.

Angesichts der aktuellen Radikalisierung vieler europäischer Staatsbürger durch die Propaganda der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ befürchten zahlreiche Sicherheitsexperten aktuell eine erhöhte Gefahr durch mögliche Anschläge in Deutschland und der Europäischen Union. Die Ereignisse in Ottawa haben die konkrete Bedrohung erneut bestätigt. Ehe aber überhaupt analysiert ist, mit welcher Gefahr wir es genau zu tun haben und welche Mittel dagegen helfen könnten, fordern Politiker der großen Parteien schon Gesetzesänderungen und neuen anlasslosen Überwachungsmaßnahmen. Dabei ist die Bilanz dieses Weges verheerend: Die Zahl terroristischer Anschläge und das Aufkommen schwerer organisierter Kriminalität hat in den Jahren seit Einführung anlassloser Massenüberwachung deutlich zugenommen.

Die Massenüberwachung nimmt zu, die Anschläge aber auch

In den USA, wo die grenzenlose Überwachung aller Kommunikation im vergangenen Jahr durch Edward Snowden ans Licht gebracht wurde, hat es Anschläge wie die in Boston gegeben, die durch eben diese Maßnahmen nicht verhindert werden konnten. Dabei hatte es bereits anderweitig zahlreiche konkrete Ermittlungsansätze und Informationen gegeben. Ihnen wurde nicht nachgegangen, die eigenen Überwachungssysteme hatten keinen Alarm geschlagen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei einem antisemitisch motivierten Anschlag in Südfrankreich. Eine Lehre aus den Enthüllungen von Snowden ist, dass der Westen sich wegen der Terroristen seiner ureigenen verfassungsrechtlichen Werte von verbindlichen Freiheitsrechten und Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe entledigt hat. Damit hat er den Terroristen das gegeben, was sie mit ihrem Grauen erreichen wollten. Eine andere Lehre aus Snowden ist: Diese Preisgabe Jahrhunderte alter Traditionen war nicht geeignet, den Terrorismus effektiv zu verhindern oder gar zu bekämpfen. Wenn Europas Regierungen jetzt trotz deutlicher höchstrichterlicher Urteile über die Unvereinbarkeit anlassloser Überwachung mit den Grundrechten nach der Einführung von Vorratsdatenspeicherungen für Telefon-, Bank- und Passagierdaten rufen, dann haben sie in beiderlei Hinsicht nichts aus Snowden gelernt.

Die Politik hat nichts aus Snowden gelernt

Auch zur Aufspürung und Verfolgung vermeintlicher IS-Kämpfer sind die nun durch EU-Regierungen geforderten Datensammlungen durchweg ungeeignet. Bei ihnen handelt es sich in der Regel um bereits bekannte Verdächtige, es gibt also konkrete Ermittlungs- und Bedrohungsansätze, an die angeknüpft werden kann. Woran es hapert, ist die konkrete Auswertung und der Austausch vorhandener Informationen über diese Einzelpersonen und Gruppen.

Den grenzübergreifenden Ermittlungsteam fehlt es an Personal und Ausstattung

Immer wieder kommen Hinweise über radikalisierte Personen und deren Finanzierung auf. Doch es fehlt an Personal und Ausstattung für gemeinsame grenzübergreifende Ermittlungsteams, die die zahlreichen Informationen von Sicherheitsbehörden zusammen führen und weitergehende konkrete Überwachungsmaßnahmen ergreifen können. Statt der anlasslosen Speicherung aller Reisedaten könnten solche Teams sich auf die Analyse konkreter Reisebewegung von Verdächtigenkreisen oder in Risikoregionen konzentrieren. Hierfür müssen ausreichend Mittel und auch die gesetzlichen Grundlagen bereitgestellt werden. Doch die jetzige Situation sieht anders aus: Während die gemeinsamen Ermittlungsteams (Joint Investigation Teams) der europäischen Polizeibehörde Europol etwa nur wenige Zehntausend Euro im Jahr zur Verfügung gestellt bekommen und die EU-Regierungen sich gegen einheitliche Verfahrensstandards für Sicherheitsbehörden in Europa aussprechen, fordern sie gleichzeitig die Einführung anlassloser Massenüberwachungssysteme wie etwa zur Fluggastdatenanalyse aller Reisenden für mehrere hundert Millionen Euro. Diese verfehlte Sicherheitspolitik muss umgehend beendet werden. Statt die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und die Grundfesten unserer demokratischen Rechtsstaaten preiszugeben, müssen wir endlich die wirklichen Defizite unserer Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden angehen.
Jan Philipp Albrecht ist stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses im Europäischen Parlament und veranstaltet im März den bereits 4. Grünen Polizeikongress in Hamburg.

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