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Merz und Dobrindt können sich nach der Einigung beim Bürgergeld Spitzen gegen die Ampel nicht verkneifen.

© Kappeler/dpa

Einigung beim Bürgergeld: Guter Kompromiss, schlechte Gewinner

Die Union triumphiert lautstark, und sie hat auch tatsächlich beim Bürgergeld wichtige Änderungen durchgesetzt. Dennoch bleibt es bei einer Neuausrichtung. Und das ist gut so.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Verlieren will gelernt sein - gewinnen aber auch. Darin hervorgetan hat sich die Union am Dienstag nicht. Nacheinander traten die Spitzen von Ampelkoalition und Union im Bundestagsgebäude vor die Kameras, um mitzuteilen und jeweils ins gewünschte eigene Licht zu rücken, worauf sie sich in Sachen Bürgergeld geeinigt hatten.

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz hatte einen Erfolg zu verkünden: Die Union hat die Ampelkoalition zu weitreichenden Änderungen bewegt - und zwar vor allem dank der eigenen Blockademacht. Ohne Union ging es nicht, solange deren Reihen geschlossen waren, und diese Geschlossenheit war da.

So hatte die Ampel nur noch die Wahl, das Bürgergeld mit Abstrichen umzusetzen oder das Großprojekt zu stoppen. Letzteres wäre aus Sicht der Regierung eine Katastrophe gewesen, also blieb nur der schmerzhafte Kompromiss.

Beim Thema Sanktionen kann man leicht mobilisieren

Die Vertrauenszeit, um die so viel gestritten worden war, entfällt komplett. Von Tag eins an greifen alle Sanktionsmöglichkeiten, der versprochene Paradigmenwechsel hin zum Vertrauensvorschuss ist abgesagt. Das ist ein Sieg für die Union, und der hat auch damit zu tun, dass sich mit diesem Thema so einfach mobilisieren lässt.

Die Vertreter:innen der Ampelkoalition konnten noch so oft darauf hinweisen, dass die Sanktionen überhaupt nur einen sehr kleinen Teil der Transferempfänger:innen treffen. Gegen das Schreckbild des Couch-Hartzers, der ohne Gegenleistung Geld einstreicht, war kein Ankommen.

Ob es der Ampel passt oder nicht: Dieser Punkt hat Symbolwirkung, auch für diejenigen, die das System finanzieren, und für die Angestellten in den Jobcentern. Die Union hat daher in diesem Punkt gute Argumente auf ihrer Seite.

Die Regeln im Vergleich zum Status quo werden klar großzügiger.

Karin Christmann

Das Schonvermögen wird ungefähr halbiert, die Karenzzeit, in der auch die Wohnung unangetastet bleibt, sinkt ebenfalls auf die Hälfte. Auch hier hat die Ampel der Union entgegenkommen müssen. Andererseits werden die Regeln im Vergleich zum Status quo klar großzügiger. Vielleicht war auch von vornherein etwas Verhandlungspuffer eingeplant.

Der Kern des Bürgergelds sei komplett gestrichen, hat Friedrich Merz vollmundig verkündet. Doch das stimmt nicht. Es kommt der Strategiewechsel hin zur beruflichen Qualifizierung und zu einer geschmeidigeren, möglichst vertrauensstiftenden Ansprache der Transferempfänger:innen.

Die Ampel hat sich vorgenommen, den Graben zwischen Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel zu verkleinern. Das ist ein großes, langfristig angelegtes Vorhaben, und es wird nicht im Januar 2023 schlagartig zu Erfolgen führen. Trotzdem ist dies tatsächlich eine Neuausrichtung.

Merz und auch Fraktionsvize Alexander Dobrindt (CSU) haben ihre Erfolge in wichtigen Streitfragen am Dienstag ausgekostet. Merz setzte Spitzen in Richtung der Regierungsparteien, und Dobrindt empfahl, Teile der Ampel müssten sich noch mit dem Kompromiss auseinandersetzen, „um ihn wirklich zu verstehen“.

Auf diese Überheblichkeit hätte sich auch verzichten lassen. Umgekehrtes war bei der Ampel zu besichtigen. „Polarisierung ist gerade nicht das Gebot der Stunde“, sagte die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann.

Und Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, zitierte Friedrich Ebert: „Wer den Kompromiss schlechtredet, redet die Demokratie schlecht.“ Unrecht hatte sie damit nicht.

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