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Eine Mitarbeiterin des Amtsgerichts Frankfurt greift an einem Regal nach einer Gerichtsakte - die Digitalisierung ist noch im Gange.

© dpa/Arne Dedert

Digitalisierungswüste Deutschland: Der neidische Blick nach Estland

Wie lange noch? Wann wird aus Deutschland ein bisschen Estland, also wenigstens in Teilen? Noch lange nicht, wie es scheint. Und so wird mit der Zeit aus einem Ärgernis ein Skandal.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Behördengänge per Mausklick – mit der Digitalisierung sollte alles einfacher werden. Und schneller auch. Dass dafür ein digitaler Umbau der Verwaltung nötig ist, ist lange bekannt. Dennoch stockt er – seit Jahren.

Den Menschen reicht’s. Der Wirtschaft in Sonderheit. Sie ist ständig mit Behörden in Kontakt, ist ihr größter Kunde. Eine funktionierende digitale Verwaltung wird zunehmend zum Standortfaktor.

Wie aber soll es aufwärtsgehen, wenn ein nachhaltiges Digitalisierungskonzept auf sich warten lässt, das alle Verwaltungsebenen einbezieht? Von wegen „Masterplan“ – keinen Auszubildenden würde man damit durchkommen lassen.

Gefühlt ist seit ewigen Zeiten klar, was Verwaltungen digital leisten können müssen. Dass sich das dann irgendwie im Laufe einer Umsetzung entwickelt – Voodoo hilft da nicht, nur klare Schwerpunktbildung. Klarheit erhöht die Geschwindigkeit.

Digitalisierung der Verwaltung wird zur Daueraufgabe

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) gibt es seit fünf Jahren. Aber nur ein Bruchteil der Verwaltungsleistungen ist abrufbar.

Und dann schauen wir auf Estland. Es ist zum Neidischwerden.

Stephan-Andreas Casdorff

Die Digitalisierung der Verwaltung wird zur Daueraufgabe, weil sich die technischen Möglichkeiten immer weiter fortentwickeln. Umso schneller müsste die Umsetzung werden. Der Nationale Normenkontrollrat, Beratergremium der Bundesregierung, ist nicht ohne Grund unzufrieden.

Und dann schauen wir auf Estland. Es ist zum Neidischwerden. Nur mal so: Alle haben einen elektronischen Personalausweis, der ist verpflichtend – und zwar seit, Achtung, 2001.

Hinzu kommt der Daten-Austausch zwischen den Behörden, der dazu führt, dass inzwischen 99,9 Prozent aller staatlichen Dienstleistungen online sind. Hauskauf, Haustieranmeldung, auch die Stimmabgabe bei Wahlen – alles geht.

Datenschutz durch Sperren und Transparenz

Und so geht’s auch zur Beruhigung der Datenschützer: Nicht jede Behörde, nicht jeder Beamte kann auf jeden Datensatz zugreifen. Das Steueramt bekommt keinen Einblick in die Krankendaten, zum Beispiel.

Alle Nutzer:innen sehen im eigenen Portal, wann sich welche Behörde welchen Datensatz zieht. Es funktioniert: In Estland haben deshalb schon Ärzte oder Polizisten Lizenzen und Jobs verloren.

Onlinedienste sind rapide wichtiger geworden, nicht erst, aber auch durch Corona. Ummeldung, Elterngeld, Baugenehmigung, Führerschein, alles das und noch viel mehr. Wenn die Länder sich nun aber nicht koordinieren können sollten, wenn keine gemeinsamen Standards geschaffen werden können – dann muss in diesem Fall der Bund ran. Sich bloß zu ärgern, reicht nicht.

Der Bund kann laut Gesetz steuern. Er darf IT-Anwendungen, Basisdienste und die elektronische Realisierung von Standards, Schnittstellen und Sicherheitsvorgaben rechtsverbindlich vorgeben. Weil nicht jeder mittelmäßige Kompromiss um des lieben Friedens willen mit den Ländern von Vorteil ist.

Die Bundesregierung darf sich hier ruhig angesprochen fühlen. Getreu dem estnischen Sprichwort: Die Arbeit wird dich lehren, wie man sie tut. Hoffentlich rasch.

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