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Trauer um Nelson Mandela. Das Zeitalter der einsamen Freiheitshelden neigt sich dem Ende.

© dpa

Nach Mandelas Tod: Die Sehnsucht nach dem Heiligen

Mit Nelson Mandela ging einer der letzten Großen der Geschichte. Das Zeitalter der Menschheitsführer, die im Alleingang Epoche machten, geht zu Ende. Die Freiheitshelden von morgen können nur gemeinsam siegen.

Mit seinem Tod ist Nelson Mandela vom Nationalhelden Südafrikas in den Heiligenstand erhoben. Schon zu Lebzeiten galt der Friedensnobelpreisträger, der vom Gefangenen des Apartheid-Regimes zum ersten schwarzen Präsidenten aufstieg, als Legende, eine Sagenfigur der Realgeschichte. Mandela hat mit seinem Leben ein modernes Märchen erzählt, das Wirklichkeit wurde und zugleich selbst den Zeitzeugen unglaublich erschien. Seine Leistung wirkt übermenschlich, seine revolutionäre Botschaft, dass selbst die Schwächsten mit dem Geist unbeirrbarer Liebe und Versöhnung ein Gewaltregime von Hass und Trennung zu überwinden vermögen, trägt religiöse Züge.

Große Worte für den Geehrten

„Die schwebst über der Welt wie ein Komet und hinterlässt ein Licht, dem wir folgen sollten“, sprach Mandelas Enkel Zozuku Dlamini im Stadion von Johannesburg. Die Analogie zur Weihnachtsgeschichte liegt nahe: Die Krippe von Bethlehem wird zum flaggenbedeckten Sarg, statt der drei Könige hat sich die Heerschar der Mächtigen aus aller Welt am Kap versammelt, um ihr Haupt vor „Tata Madiba“ (Vater Madiba) zu neigen – und dessen Licht unter sich zu teilen. „Mandelas Geist wird ewig leben“, sagte Chinas Vizepräsident Li Yuanchao, als „Leuchtfeuer der Hoffnung und Menschenrechte“, so UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, und für US-Präsident Barack Obama war er „der große letzte Freiheitskämpfer des 20. Jahrhunderts“ – „ein Gigant der Geschichte“, vereint zur Dreifaltigkeit mit Mahatma Ghandi und Martin Luther King.

Die Größe des Geehrten, die aus den Huldigungen spricht, überwältigt die Hinterbliebenen, nicht, weil Mandelas Verdienst das menschliche Maß übersteigt, sondern weil es in der heutigen Welt kaum noch möglich erscheint, einem einzelnen Menschen eine Lebensleistung mit solcher einheitsbildender und sinnstiftender Kraft zuzutrauen. „Es könnte durchaus sein, dass er der letzte große Mensch war“, schrieb der südafrikanische Schriftsteller J.M. Coetzee in einem Nachruf. „Denn der Gedanke der Größe verschwindet allmählich im Dunkel der Geschichte.“

Sehnsucht nach versöhnendem Geist

Die Welt ist kleiner geworden – und zugleich komplexer. Mehr denn je ist die Weltgemeinschaft heute miteinander verbunden und aufeinander angewiesen, teilt die Menschheit mehr oder weniger das gleiche Schicksal. Aber im unüberschaubaren Dickicht der Beziehungen, Abhängigkeiten und Interessen, schwindet die Hoffnung, dass einzelne Männer oder Frauen künftig ähnlich geschichtsmächtige Wirkung durch ein Lebenswerk erzeugen könnten. Die Sehnsucht nach dem Heiligen, nach einem versöhnenden Geist, der verbindliche Werte verkörpert, die Sinn und Einheit über alle Grenzen des Trennenden hinaus zu stiften vermögen, wird dadurch auch in der säkularisierten Welt nicht geringer.

Mit Gottvertrauen ist es nicht getan, es bedarf menschlicher Vorbilder, die voranschreiten. Der tausendfache Ruf „God bless Africa!“, der die Trauerfeierlichkeiten für Nelson Mandela begleitete, beschwört ein Pathos, das auch Ungläubige berührt – nur die Hoffnung, Gottes segensreiche Hand möge uns zum Besseren geleiten, ist zumindest in unserer Weltregion bescheiden geworden. Allenfalls im Repertoire klerikalkonservativer Kreise wäre die Formel „Gott schütze Deutschland“ denkbar – „God bless Europe“? Geht schon gar nicht.

Die Helden von morgen

Für das Heilige müssen Mehrheiten organisiert werden – selbst in Amerika, wo Gott noch mitregiert. Das Erfolgsmodell des einsamen Heilsbringers, der wie Mandela 27 Jahre im Gefängnis ausharrte, bis sein historischer Moment gekommen war, die Nation als Integrationsfigur zu einen, gehört der Epoche der großen Führer an, die zu Ende geht. Das, was uns heute in den freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratien im säkularen Sinne heilig ist, die elementaren Menschenrechte, die wir als ewig gültig und unverhandelbar definieren, jene Gebote zur Wahrung der Würde und Freiheit des Einzelnen, bedürfen des aktiven Schutzes eines ausreichend großen Kollektivs.

Zu mächtig sind die global vernetzten Kräfte, die unseren gemeinsamen Wertekanon auszuhöhlen drohen, als dass ein Einzelner die historische Größe entwickeln könnte, um ihnen die Stirn zu bieten. Die Auseinandersetzung um Big Data zwischen international agierenden Konzernen, Geheimdiensten und Bürgern, die um Freiheit und Privatsphäre fürchten, belegt das. Und überwältigender noch offenbart sich die Ohnmacht der Menschheit angesichts der fortschreitenden Zerstörung ihrer planetarischen Lebensgrundlagen. Selbst der Völkergemeinschaft gelingt es bisher nicht, den heiligsten Besitz des Menschen, die Erde, für kommende Generationen zu bewahren. In diesem Sinne mag Mandela tatsächlich einer der letzten Heiligen der Geschichte gewesen sein. Die Freiheitshelden von morgen müssen ihre Einsamkeit überwinden. Nur in der kritischen Masse können sie Wirkung entfalten.

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