zum Hauptinhalt
Hab und Gut. So fängt das Leben in der neuen Heimat oft an.

© dpa

Wie Migranten unser Land prägen: Deutschland braucht ein Einwanderungsmuseum

Im Jahr 2012 lag Deutschland bei der dauerhaften Zuwanderung weltweit auf Platz zwei, hinter den USA. Ob bei Armutsflüchtlingen, Asylsuchenden oder der EU-weiten Zuwanderung: In jeder Kategorie steigen die Zahlen. Höchste Zeit also für ein Einwanderungsmuseum!

Der oft erbittert geführte Streit darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, hat sich erledigt. Die Zahlen sind zu eindeutig, um verdrängt, geleugnet, bagatellisiert werden zu können. Ein Fünftel der Bevölkerung hat bereits einen Migrationshintergrund, das sind rund 16 Millionen Menschen. Im Jahr 2012 lag das Land bei der dauerhaften Zuwanderung weltweit auf Platz zwei, hinter den USA. Ob bei Armutsflüchtlingen, Asylsuchenden oder der EU-weiten Zuwanderung: In jeder Kategorie steigen die Zahlen. Das wird Deutschland weiter verändern.

Und prägen. Italiener, Türken, Palästinenser, russischsprachige Juden, irakische Christen, Syrer, Rumänen, Polen, Vietnamesen, Afghanen, Menschen vom Balkan: Jeder Einwanderer hat seine ganz eigene Geschichte, sein Schicksal, seine Herkunft. Wachsende Mobilität, kriegerische Auseinandersetzungen, Hungersnöte und innereuropäische Chancenungleichheiten werden die Dynamik der Immigration eher noch beschleunigen.

Doch eines fehlt – ein Einwanderungsmuseum. Kein zentraler Ort stellt den elementaren Wandel der Gesellschaft durch Einwanderung dar, erinnert an die Herkunftstraditionen, würdigt Individuen, erklärt Kulturen. Was seit vielen Jahren in klassischen Einwanderungsländern selbstverständlich ist – vom „Ellis Island Immigration Museum“ in New York (USA) über das „Immigration Museum“ in Melbourne (Australien) bis zum „Pier 21 Museum“ in Halifax (Kanada) –, wird in Deutschland noch nicht einmal diskutiert. Vielleicht fehlt es an Einsicht in die Notwendigkeit, vielleicht scheut man auch die Debatte.

Was wird als Bereicherung gewertet, was als Konflikt?

Denn eines steht fest: Das Projekt eines Einwanderungsmuseums würde unweigerlich zu heftigen Diskussionen führen. Was bekommt wie viel Raum? Was wird als Bereicherung gewertet, was als Konflikt? Wie werden Reizthemen wie Minarettbauten, Kopftücher, NSU, Beschneidung, Schächtung, Thilo Sarrazin dargestellt? Als in Frankreich im Oktober 2007 nach langen Auseinandersetzungen das staatliche Einwanderungsmuseum eröffnete – die „Cité nationale de l’histoire de l’immigration“ im Kolonialpalast Porte Dorée in Paris –, hatten kurz zuvor acht wissenschaftliche Beiräte aus Protest gegen dessen angebliche „Vereinnahmung“ durch die konservative Regierung ihren Rücktritt erklärt. Außerdem monierten sie, dass der Zusammenhang zwischen Einwanderungs- und Kolonialgeschichte unterschlagen werde.

Rund zwölf Millionen Einwanderer waren seit 1890 über Ellis Island nach Amerika gelangt, allein im Jahr 1907 mehr als eine Million. Die Prozedur, der sie sich unterziehen mussten, war zum Teil erniedrigend, insbesondere wegen der intensiven medizinischen Untersuchungen. Deshalb wurde Ellis Island auch „Träneninsel“ (isle of tears) genannt. Heute sagen rund 40 Prozent aller Amerikaner, dass ihre Vorfahren über Ellis Island gekommen seien. Das Museum auf der Insel wurde vollständig mit privaten Spenden finanziert. Die „American Immigrant Wall of Honor“ umfasst mehr als 700 000 Namen von Einwanderern, im „American Family Immigration History Center“ können mithilfe eines elektronischen Archivs Familiengeschichten rekonstruiert werden.

Was ein Einwanderungsmuseum Deutschland bringen würde

Amerika ist stolz auf seine Einwanderer. Denn fast jeder kommt dort von irgendwoher, und von keinem wird verlangt, seine Geschichte, Kultur oder Tradition abzustreifen. Im Gegenteil: Jeder ist neugierig auf die Herkunft des anderen. Parallelwelten gelten als ganz normal – ob in Chinatown oder Little Italy, auf dem St.-Patricks-Day oder beim Gaufest des „Schuhplattler und Trachtenvereins Bavaria“ in Cleveland, Ohio.

Von einem Einwanderungsmuseum in Deutschland, am besten in der Hauptstadt Berlin, könnte ein ähnliches Signal der tolerierten Vielfalt ausgehen. Und die Erkenntnis, dass immer mehr Menschen auch hierzulande eine Familiengeschichte haben, die nicht deckungsgleich ist mit der Geschichte des Landes selbst, diese aber beständig formen, prägen und mitgestalten.

Nun bräuchte es bloß noch einen, der Engagement, Renommee und Zeit hat, um dieses Projekt voranzutreiben. Einen, der unabhängig ist, Gehör findet in Politik und Wirtschaft und der von Migrantenverbänden respektiert wird. Es gibt eine solche Person. Es ist der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft ist ihm ein Herzensanliegen. Sein Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ darf mittlerweile als konstitutiv gelten. Wulff wäre der richtige Mann für die richtige Tat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false