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Erinnerung an Antonin Scalia, der am Wochenende im Alter von 79 Jahren starb, vor dem Supreme Court in Washington.

© AFP/Drew Angerer/Getty Images

Tod eines obersten Richters der USA: Der Kampf ums richtige Recht

Antonin Scalia hat Verfassungsgeschichte geschrieben. Der Streit um seine Nachfolge rückt ins Zentrum des US-Wahlkampfs. Ein Kommentar.

Amerikas Verfassungsgeschichte steht vor einer Wende. Vollziehen wird sie der Präsident. Eine offene Frage ist freilich, ob es Barack Obama sein wird oder sein(e) Nachfolger(in). Der Präsident schlägt vor, wer den verstorbenen obersten Richter Antonin Scalia ersetzen soll. Der Senat muss jedoch zustimmen, die Republikaner haben also ein Vetorecht.

Sie wollen die Entscheidung bis nach der Wahl im Herbst vertagen. Ihr offizielles Argument: Eine so wichtige Entscheidung sollten ein Präsident und ein Senat treffen, die frisch legitimiert sind. Das wahre Interesse: zu verhindern, dass die weltanschauliche Zusammensetzung des Supreme Court kippt.

Ist die Verfassung "tot" oder "lebend"?

Drei Jahrzehnte lang hat Scalia das Verfassungsrecht der USA mit stoischer Entschiedenheit geformt. Der Sohn italienischer Einwanderer war nicht im Zweifel konservativ, er war verlässlich konservativ. Das beruhte freilich weniger auf parteipolitischer Ideologie als auf rechtsphilosophischer Überzeugung. Er prägte die Doktrin von der „toten Verfassung“ – als Gegenmodell zur „lebenden Verfassung“ der vier liberalen obersten Richter. Sie sagen: Wenn neue Fragen auftauchen wie Abtreibung, Homoehe, Wahlkampfspenden oder elektronische Überwachung, dann müsse der Supreme Court den Ursprungstext neu interpretieren.

Nein, sagte Scalia, das wäre „richterlicher Aktivismus“ – der Begriff wurde für Republikaner zu einem Schimpfwort, mit dem sie fortschrittliches Rechtsdenken ablehnten. Für Scalia haben die Richter die Verfassung zu nehmen, wie sie ist. Man könne nicht den Begriff „Privacy“ (sexuelle Selbstbestimmung) „erfinden“, um daraus Abtreibungsrechte abzuleiten, wenn er nicht im Text stehe. Scalia war nicht dagegen, die Verfassung zu verändern. Aber das Recht dazu haben nicht Richter, sondern der Souverän, also das Volk, vertreten durch seine Abgeordneten. Sie können „Amendments“ beschließen: Zusatzartikel der Verfassung.

Die Republikaner wollen Obamas Entscheidung blockieren

Das Wissen um diese dominierende Bedeutung Scalias für Amerikas Verfassungsgeschichte hilft, das Vorgehen der Republikaner zu verstehen. Anfechtbar ist es dennoch. Obama ist noch fast ein Jahr im Amt. Wie kann man ihm das Vorschlagsrecht verweigern? Seit Jahrzehnten hatten sich die USA an einen gespaltenen Supreme Court gewöhnt: vier konservative gegen vier progressive Richter, die sich gegenseitig blockierten, weshalb die neunte Stimme den Ausschlag gab. Meist war das Anthony Kennedy. Wie Scalia wurde auch er von Ronald Reagan ernannt, nur erwies er sich als unabhängiger Geist, der die Erwartungen der Republikaner nicht immer erfüllte.

In der neuen Konstellation wird die US-Wahl zur Richtungswahl

Diese Machtbalance ist bedroht. Obama hat zwar bereits zwei Verfassungsrichterinnen ernannt, sie ersetzten aber progressive Richter. Erst die neue Konstellation – ein Konservativer scheidet aus, ein Demokrat schlägt die Nachfolge vor – eröffnet die Chance zur Veränderung. Die Wahl im Herbst wird damit auch zur Richtungswahl um den Supreme Court.

Das ist doppelt gefährlich für die Republikaner. Eine monatelange Blockade der Richterernennung wird Wähler in der Mitte abschrecken. Wenn die Demokraten in der Folge das Weiße Haus und den Senat gewinnen, hätten die Konservativen sich schwer geschadet.

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