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Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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Kolumne: Was Wissen schafft: Der gläserne Embryo

Jetzt ist ein Bluttest auf den Markt gekommen, mit dem sich leichter als zuvor schon während der Schwangerschaft das Down-Syndrom diagnostizieren lässt. Behindertenverbände sind besorgt - dabei ist dieser Test erst der Anfang.

Eigentlich hätte schon früher jemand auf die Idee kommen können. Doch drei Jahrzehnte lang sahen die Forscher den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Seit den 60er Jahren lassen sich genetische Erkrankungen vor der Geburt diagnostizieren. Dazu mussten bisher allerdings fötale Zellen gewonnen werden, entweder durch Punktion des Fruchtwassers oder durch Ausstanzen von Gewebe aus der Plazenta. Beide Eingriffe können zum Tod des Fötus führen; das Risiko hängt davon ab, wie erfahren der Untersucher ist und liegt im Schnitt bei 1:200.

Deshalb versuchten die Molekulargenetiker seit Anbeginn der pränatalen Diagnostik, fötale Zellen aus dem Blut der Mutter zu gewinnen. Die sind jedoch extrem selten, weil die Plazenta („der Mutterkuchen“) den kindlichen Kreislauf strikt vom mütterlichen trennt. Auf einen Milliliter mütterliches Blut kommen nur ein bis sechs fötale Zellen – zu wenig, um damit zuverlässige Gentests zu machen.

Doch dann machte Dennis Lo von der chinesischen Universität Hongkong im Jahr 1997 eine spektakuläre Entdeckung: Das Blut schwangerer Frauen enthält zwar kaum Zellen, aber dafür riesige Mengen freies Erbmaterial (DNA) des Fötus. In der siebten Schwangerschaftswoche stammen etwa fünf Prozent der frei im Blut schwimmenden DNA vom kindlichen Genom. Kurz vor der Geburt steigt der Anteil auf fast 50 Prozent. Das kindliche Erbmaterial kommt nicht vom Fötus selbst, sondern von einem Teil der Plazenta, der sich in den ersten Wochen der Schwangerschaft aus embryonalen Zellen gebildet hat. Dieser „Trophoblast“ ist ständig im Umbau begriffen, wobei große Mengen von Zellen sterben und kindliche DNA ins mütterliche Blut freisetzen.

Seit Montag ist in Deutschland der erste Test nach dem neuen Verfahren auf dem Markt. Das Down-Syndrom kann nun anhand einer mütterlichen Blutprobe festgestellt werden. Im positiven Fall ist das Testergebnis zu 99,5 Prozent zuverlässig, ein Ausschluss des Down-Syndroms ist mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit möglich. Die Zuverlässigkeit ist damit fast so hoch wie bei den eingangs beschriebenen „invasiven“ Verfahren.

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe (CDU) hält den Test für „diskriminierend“ und „illegal“. Der Schwangerschaftsabbruch ist hierzulande bei Down-Syndrom und anderen schweren Fehlbildungen jedoch ohnehin möglich, insgesamt wird er rund 3000 Mal im Jahr im Rahmen der „medizinischen Indikation“ durchgeführt. Für die ethische Betrachtung spielt es keine Rolle, durch welches Verfahren die Eltern die Diagnose bekommen haben. Theoretisch könnte der Bluttest jährlich etwa hundert Aborte nach invasiver Diagnostik verhindern. Dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen, bedeutet auch keineswegs eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Der neue Down-Test ist zudem teuer (etwa 1250 Euro), dauert zu lange (zwei Wochen) und erfasst andere Chromosomenveränderungen nicht, die zusammen so häufig wie das Down-Syndrom sind.

Allerdings ist absehbar, dass Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation durch künftige Tests zunehmen werden. Bald lassen sich über Nacht nahezu alle bekannten Chromosomenstörungen und häufigere Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, Thalassämie und Muskeldystrophien diagnostizieren. Solange es um Krankheiten geht, die vor dem 18. Lebensjahr ausbrechen, ist das gemäß Gendiagnostikgesetz erlaubt.

Die Forschung wird hier jedoch nicht Halt machen. Die häufigste Erbkrankheit, die Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit), bricht meist im Erwachsenenalter aus. Auch dafür wird es demnächst pränatale Bluttests geben, ebenso für die Veranlagung zu Bluthochdruck, Herzinfarkt und Krebs. Im Prinzip funktionieren diese Untersuchungen bereits ab der siebten Schwangerschaftswoche. Schwangere könnten ihr Blut von einem ausländischen Labor testen lassen und gegebenenfalls in Deutschland bis zur 12. Woche einen Abbruch nach der Fristenregelung vornehmen lassen.

Bis Ende des Jahres will sich der Nationale Ethikrat äußern. Man darf gespannt sein, ob er für dieses absehbare Problem eine Lösung findet.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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