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Senioren in Dresden.

© dpa

Demographie ändert Demokratie: Der Alterungs-Tsunami bringt neue Verteilungsfragen

Da die Alterungswelle zweifelsfrei kommt, liegt es jetzt an unserer Gesellschaft, potenzielle Konfliktfelder zu erkennen sowie auch demographische Chancen wahrzunehmen. Ein Gastkommentar

Schon die Worte legen es nahe: Demographie und Demokratie bedingen einander. In den vergangenen vier Jahrzehnten ist in Deutschland die Gruppe der jüngsten Bevölkerungsmitglieder immer kleiner geworden, während die älteste Altersgruppe beständig wächst. Kann man ernsthaft erwarten, dass diese sich deutlich fortsetzende Tendenz die Demokratie unberührt lässt?

Was in 15 Jahren geschieht, dürfte nicht so überraschend sein, denn für alle die zum Beispiel nach 1955 geboren wurden, ist das Jahr 2030 ein Datum, dass sie erreichen könnten. Die dabei unterlegte durchschnittliche Lebenserwartung von 75 Jahren nimmt sogar noch zu.

Der Anteil der 65 Jahre alten und der Älteren wird zwischen heute und dem Jahr 2030 von 20 auf 29 Prozent gestiegen sein, und die Gruppe der Jüngeren bleibt dabei kleiner als ein Fünftel der gesamten Bevölkerung. 1960 lag der Anteil der Jüngeren noch bei fast 30 Prozent. Umgekehrt waren 1960 nur circa zehn Prozent der Menschen älter als 65 Jahren, im Jahr 2040 wird dieser Anteil bei deutlich über 30 Prozent liegen. Der Anteil der Über-80-Jährigen wird in allen Bundesländern dramatisch zunehmen. Ich spreche hier deshalb mit Blick auf die Babyboomer für den Zeitraum 2020 bis 2040 von einem Alterungs-Tsunami, der uns heftig erfassen wird.

Im 17. Deutschen Bundestag stellten die 50-Jährigen und Älteren die Hälfte der Abgeordneten; diese Altersstruktur zeichnete sich auch unter den Wahlberechtigten zur Bundestagswahl 2013 ab. Auch hier bilden die Wahlberechtigten, die 50 Jahre und älter waren, über die Hälfte des Elektorats ab. Die demographische Struktur ist, könnte man sagen, repräsentativ umgesetzt.

Alte gehen häufiger wählen als Junge

Abgesehen von der Demographie ist das aktive Wahrnehmen demokratischen Verhaltens, das Wählen, eine Chance, die ergriffen werden sollte. Je älter jemand ist, desto höher liegt - bis zu einem ganz hohen Alter - die Wahlbeteiligung. Es ist zu beobachten, dass die Jüngeren nicht nur weniger werden, sondern auch seltener zur Wahl gehen; die Älteren wiederum werden bis 2030 nicht nur deutlich mehr, sie neigen (bisher) auch zu deutlich höherer Beteiligung an Wahlen. Was die Demographie vorlegt, wird also nochmals gesteigert. Da insgesamt die Wahlbeteiligung seit Mitte der siebziger Jahre sinkt, ergibt sich hier viel Stoff für die politische Bildung und die politische Kultur in Deutschland.

Auch die Mitgliederzahl der im Bundestag vertretenen Parteien hat seit 1974 deutlich abgenommen. Sei es, weil die Mitwirkung nicht mehr attraktiv ist, sei es, weil der Anteil von jüngeren Parteimitgliedern einfach Demographie-bedingt einen geringeren Anteil an der Mitgliederzahl insgesamt hat. Umgekehrt hat der Anteil der Parteimitglieder, die älter als 60 Jahre sind, in allen Parteien deutlich zugenommen. Entsprechend liegt das Durchschnittsalter der meisten Parteien, bis auf die Grünen, bei ungefähr 60 Jahren. Sollen wir wegen dieser Alterungswelle von der Macht der Älteren sprechen?

Blickt man exemplarisch auf die soziale Zusammensetzung der CDU-Mitglieder, erkennt man, dass circa 70 Prozent älter sind als 50 Jahre. Dennoch hat die Volkspartei CDU eine Menge Mitglieder, nach wie vor fast eine halbe Million, nur eben deutlich mehr Ältere. Wie alle Parteien hat auch die CDU ein demographisches Problem. Hat aber die Mitgliederstruktur eine Auswirkung auf die praktische Politik oder wird sie sie haben? Werfen wir einen Blick auf die ausländischen Bevölkerungsanteile. Diese sind im Zeitraum zwischen 1974 bis heute von vier Millionen auf circa sieben Millionen gewachsen. Im Blick auf die nachwachsende Generation mit Migrationshintergrund ergeben sich für Städte wie Nürnberg oder Stuttgart, was die Einwohner unter 18 Jahren mit Migrationshintergrund angeht, Prozentzahlen von über 50 Prozent. In München, Köln, Hannover, Düsseldorf, Duisburg oder Dortmund sind es über 40 Prozent. Es wäre also sinnvoll, für die politische Bildung in diesem Bereich eine höhere Aufmerksamkeit zu erzielen, da sich hier Integrationserfordernisse ergeben könnten.

Statt des Generationen- droht der Verteilungskonflikt

Einen besonders großen Teil der bereits in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund macht nach wie vor die türkischstämmige Bevölkerung aus. Im Blick auf die aktuellen Zuwanderungsgruppen von 2012 zeigt sich aber, dass inzwischen die meisten Zuwanderer aus Osteuropa kommen. In den meisten Fällen kommt es hier nicht zu Integrationsproblemen. Dennoch bedeutet die ethnodiverse urbane Struktur von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund für die städtischen Milieus in unserer Demokratie ein wichtiges Thema. Die Frage ist zum Beispiel: Rekrutiert sich die Demokratie bisher genügend aus diesen Kreisen?
Migration lässt sich nicht einfach vorhersagen. Nach einer amerikanischen Studie von Pew Research können wir für 2030 mit einem Migrationsanteil von Muslimen von etwa sieben Prozent in Deutschland rechnen. Sinnvoller wäre es aber, Migranten nicht künstlich zu muslimisieren, sondern ihre nationale Herkunft zu identifizieren und sie danach besser beurteilen zu können.

Professor Tilman Mayer
Tilman Mayer ist Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie in Bonn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie.

© promo

Was das für die Demokratie wichtige Thema Engagement angeht, wird zum Beispiel in den neuen Bundesländern in den kommenden zehn Jahren der Anteil der Engagementbereiten um etwa zehn bis 15 Prozent sinken.
Es wird viel darüber diskutiert, dass der größer werdende Anteil Älterer, die noch dazu häufiger zur Wahl gehen, Auswirkungen auf Ergebnisse der Politik haben könnte. Man kann dazu Folgendes feststellen: Das Verhältnis der Generationen untereinander wirft weniger ein Problem auf als bestimmte Politikfelder. Zum Beispiel hat die Rentenbezugsdauer von Frauen zwischen 1960 von elf Jahren auf fast 20 Jahre im Jahr 2005 zugenommen. Es gibt Berechnungen, dass sich die Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge bis 2030 auf deutlich über 55 Prozent erhöhen wird. Die Entwicklung der Pensionskosten wäre ein weiteres Thema.
Die demokratische politische Kultur wird also weniger durch Generationenkonflikte, aber schon eher durch Verteilungsfragen herausfordert sein, die Demographie-bedingt entstehen werden. In der Demographiestrategie der Bundesregierung wird darauf bereits Bezug genommen, etwa mit dem Stichwort Daseinsvorsorge. Trotzdem sind die Politiker und Politikerinnen des Jahres 2030 nicht zu beneiden. Die Alterungswelle wird zweifelsfrei kommen. Es liegt jetzt an unserer Gesellschaft, durch verbesserte Möglichkeiten eines Lebens mit Kindern dem gesamten Thema demographischer Wandel eine wieder stärker fertile und optimistische Richtung zu geben, damit auch mehr demografische Chancen wahrzunehmen sind. Die Demographie ist nicht unser Schicksal, sie müsste es jedenfalls nicht sein.

Tilman Mayer nimmt teil am Demokratie-Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema Demographie am 21. November in Bonn. Tagesspiegel.de veröffentlicht diesen Beitrag im Rahmen einer Demographie-Diskussion in Kooperation mit der KAS.

Tilman Mayer

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